Meine Assistentin sprach jene Worte aus, mit denen sie mich immer beruhigen kann: „Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Dieses Mal klang es aber anders, ein bisschen ungewohnt jedenfalls. Vielleicht lag es daran, dass wir an jenem Morgen nicht unter Stress im Auto unterwegs waren. Ich hatte reichlich Zeit bis zu meinem Termin, war sogar viel zu früh dran, was selten vorkommt. Meine Begleiterin sagte noch: „Das Ziel liegt links.“
Warum kam es mir so vor, als klinge da eine Facette in der Stimme durch, die ich nicht deuten konnte. Lag eine Mahnung zur Vorsicht in ihrem Tonfall? Das kann nicht sein, sie ist eine Maschine.
Bundesallee 50. Ich war angekommen, stellte das „Navi“ aus, ließ das Gattertor der Einfahrt hinter mir, näherte mich im Schritttempo einem älteren steinernen Gebäude, das zweifellos ein Wärterhaus war, obwohl es dafür ziemlich groß angelegt war. Davor gabelte sich die Straße. Ein Schild wies mir mit einem Pfeil den weiteren Weg. Ein Mann, der mich fest im Blick hatte und meine kurze Ratlosigkeit bemerkt hatte, nickte mir ernst zu. Ich schlug die angewiesene Richtung ein – und fuhr immer tiefer in einen Film hinein, in einen Spionagethriller.
Es war ein abgeschirmtes Gelände mit ungeahnter Weitläufigkeit. Mit Mischwald, Feldern, verschlungenen, asphaltierten Wegen – und dazwischen: Gebäude, die Forschungszwecken dienen. Manche davon gleichen Kasernen. Eine Welt für sich – am Rande von Braunschweig. Ein deutsches Pendant zur berüchtigten „Area 51“ in den USA. Mit diesem Eindruck jedenfalls passierte ich die verschiedenen wissenschaftlichen Anstalten – allesamt des Bundes.
„Und irgendwie ist die Vergangenheit hier atmosphärisch noch präsent, auf beklemmende Weise.“
Vor allem das Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut mit seinen vielen Abteilungen für Ländliche Räume, Wald und Fischerei hat seinen Sitz an diesem so geheimnisvoll wirkenden Ort. Im repräsentativen Gebäude des Thünen-Instituts fand eine Tagung statt, zu der ich wollte. Als ich den Parkplatz erreicht hatte, zog ich mein Smartphone hervor. Eine knappe Internetrecherche war notwendig.
Die Basis-Infos: Mein Vergleich mit der „Area 51“ lag instinktiv ziemlich richtig – aus historischer Sicht. Auf dem Gelände, auf dem ich mich befand, war von 1936 an die Deutsche Forschungsanstalt für Luftfahrt (DFL) eingerichtet. 1938 wurde sie in Luftfahrtforschungsanstalt Hermann Göring umbenannt. 80 Gebäude und unterirdische Anlagen gab es auf dem Areal. Das Nazi-Regime ließ hier Versuche in Schallgeschwindigkeit, Raketenantrieb und Waffentechnik im großen Stil durchführen.
Von 1953 bis 1969 fand dort erneut militärische Luftfahrtforschung statt – aber nicht mehr so großflächig. Denn ein Teil des Geländes wurde für die 1948 errichtete Forschungsanstalt für Landwirtschaft genutzt, aus der das heutige Thünen-Institut hervorgegangen ist. Auch das Friedrich-Loeffler-Institut hat hier einen Standort, um Tierernährung zu erforschen. Ebenso ist die Physikalisch-Technische Bundesanstalt auf dem Gelände ansässig. Eine sinnvolle Neunutzung ist das, dachte ich.
Es soll aber auch so einige „Lost Places“ auf dem Gelände geben. Und irgendwie ist die Vergangenheit hier atmosphärisch noch präsent, auf beklemmende Weise. Sonst hätte ich mich nicht wie in einem Film gefühlt. Und ich wäre auch nicht dazu veranlasst gewesen, etwas über sonderbare Untertöne in der weiblichen Stimme meines Navigationssystems zu schreiben, die einer Warnung glichen. Die gab es nicht. Alles andere schon.
Zur Person: