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Rote Gebiete: Land hält trotz Rückschlags an "Verursacherprinzip" fest

Brüssel hat die niedersächsische Methode zur Ausweisung von Zonen mit Düngeauflagen abgelehnt. Das betrifft viele OM-Landwirte. Nun setzt Hannover darauf, seinen Sonderweg per Bundesrecht abzusichern.

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Die Dosierung macht den Unterschied: Gülle ist ein wertvoller Naturdünger – kommt aber zu viel davon auf den Acker, ist das eine Gefahr für das Grundwasser. Foto: dpa/Schulze

Die Dosierung macht den Unterschied: Gülle ist ein wertvoller Naturdünger – kommt aber zu viel davon auf den Acker, ist das eine Gefahr für das Grundwasser. Foto: dpa/Schulze

Im Streit um den Schutz des Grundwassers vor zu hohen Nitratwerten herrscht zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission erst einmal Ruhe. Aber für Landwirte bleibt die Situation ein Problem. Viele von ihnen sehen sich weiterhin Einschränkungen bei der Düngung ausgesetzt, die sie fachlich nicht nachvollziehen können. Sie beklagen Einkommenseinbußen.

Betroffen davon sind zahlreiche Bauern im Oldenburger Münsterland, deren Felder in Roten Gebieten liegen. So heißen die Zonen, in denen strenge Auflagen für die Ausbringung von Gülle & Co. gelten. Die Roten Gebiete stehen im Fokus des Konflikts zwischen Berlin und Brüssel. Im Kern geht es darum, nach welchen Kriterien die Grenzen der Roten Gebiete gesteckt sind.

Landwirte wehren sich gegen zu grobe Einteilungen, in denen pauschale Sanktionen bei der Düngung festgelegt sind. Sie fordern: Nach dem „Verursacherprinzip“ soll es gehen. Doch: Das „Verursacherprinzip“ ist nicht Teil der Einigung zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission. Das Land Niedersachsen, das zum „Verursacherprinzip“ ein eigenes Modell erarbeitet hatte, muss einen Rückschlag hinnehmen – vorerst zumindest.

Sie bleiben optimistisch: Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) und Umweltminister Olaf Lies (SPD). Foto: dpaSteffenSie bleiben optimistisch: Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) und Umweltminister Olaf Lies (SPD). Foto: dpa/Steffen

Das Übereinkommen zwischen Brüssel und Berlin hat den Effekt, dass die sogenannte Kulisse der Roten Gebiete sich erneut erweitert. Bis Ende Juni soll das geschehen. Immerhin ist dann dies erreicht: Die drohenden Strafzahlungen sind abgewendet.

Die EU-Kommission hatte gedroht, das Klageverfahren wieder aufzugreifen. Denn Deutschland verstößt seit mehr als 25 Jahren in Sachen Wasserschutz gegen EU-Recht. Das hat der Europäische Gerichtshof bestätigt. Es drohten trotz des zweifach überarbeiteten deutschen Düngerechts Strafzahlungen von 850.000 Euro täglich.

Brüssel fordert mehr Messtellen für Nitratwerte

Die EU-Kommission kritisierte insbesondere diese Punkte: Die Bundesländer würden uneinheitlich bei der Ausweisung der stark mit Nitrat belasteten Regionen (Rote Gebiete) vorgehen. Und: Das Messstellenetz zur Ermittlung der Nitratwerte im Grundwasser müsse ausgebaut werden.

Niedersachsen war in der Zwischenzeit dieser Strategie gefolgt: In einem Düngebeirat mit Vertretern des Landes, der Landwirtschaft und der Wasserwirtschaft war in einem dreistufigen Verfahren eine Methode entwickelt worden, um das „Verursacherprinzip“ umzusetzen. Von zentraler Bedeutung ist dabei die dritte Stufe. Dabei werden die Emissionsdaten miteinbezogen. Das heißt: Das Modell setzt zusätzlich an der Bodenoberfläche an, bei der Ermittlung der Mengen an Düngung, und nicht allein bei den Einträgen im Grundwasser (Immissionen).

Dadurch wäre eine weitere Verkleinerung der Roten Gebiete möglich geworden. Diese waren bereits zuvor von 1.065.000 Hektar auf 655.800 Hektar durch die „Regionalisierung“ (zweite Stufe) reduziert worden.

Kritisiert bisherige Einteilungen der Roten Gebiete: Hubertus Berges, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Cloppenburg.   Foto: dpaJaspersenKritisiert bisherige Einteilungen der Roten Gebiete: Hubertus Berges, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Cloppenburg.   Foto: dpa/Jaspersen

Die EU-Kommission gab aber der emissionsbasierten Vorgehensweise (dritte Stufe) keine Chance. Sie beharrt darauf, dass alle roten Messstellen (Brunnen mit steigenden und zu hohen Nitratwerten) auch in Roten Gebieten liegen müssen.

Bundesweit erhöht sich das Ausmaß der Roten Gebiete dadurch um etwa 30 Prozent auf 2,7 Millionen Hektar. In Niedersachsen dürfte der Anstieg geringer ausfallen. Grundlage bleibt die bereits zuvor verkleinerte Kulisse.

Hoffnungen liegen auf elektronischer Datenbank

Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) pocht nun darauf, dass der Bund den Ländern perspektivisch über eine Änderung der Düngeverordnung eine Länderermächtigung einräumt. „Wir müssen zu einem echten Verursacherprinzip kommen. Dann wird es uns auch gelingen, beide Ziele zusammenzubringen: den Schutz unseres Grundwassers und den Erhalt der Landwirtschaft“, erklärte Lies.

Die Hoffnungen liegen auf der Datenbank ENNI. Die vier Buchstaben ENNI stehen für „Elektronische Nährstoffmeldungen Niedersachsen“. Es handelt sich um ein digitales Verzeichnis, in das Landwirte in Roten Gebieten seit Mai 2021 per Internet die von ihnen eingesetzten Düngermengen eintragen müssen.

Die Landwirtschaftskammer als Düngebehörde kann dann einen Abgleich mit anderen Daten vornehmen und genau ermitteln, ob ein Landwirt zu viel Dünger ausgebracht hat – oder nicht. Bauern können also mit exakten Zahlen darlegen, dass sie ihre Pflanzen bedarfsgerecht düngen – und nicht für zu hohe Nitratwerte im Grundwasser verantwortlich sind, falls sie im Umfeld ihrer Äcker gemessen wurden.

Fordert Abkehr von Düngung unter dem Bedarf der Pflanzen: Dr. Johannes Wilking, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Vechta. Foto: TzimurtasFordert Abkehr von Düngung unter dem Bedarf der Pflanzen: Dr. Johannes Wilking, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Vechta. Foto: Tzimurtas

Agrarministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) sagte: „Eine Überführung dieses erfolgreichen Systems in das Bundesrecht wäre angemessen.“

Hubertus Berges, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Cloppenburg, sagte: „Das ist der einzige Weg, der uns übrig bleibt.“ Allerdings gehe es um ein langfristiges Ziel. Berges ist auch Mitglied im Düngebeirat des Landes, er befindet: Bisher sei jede vorgelegte Kulisse zu den Roten Gebieten nicht nachvollziehbar gewesen.

Wilking verweist auf globalen Getreidemangel

Wie sieht er die Chancen, dass ENNI in Bundesrecht überführt wird? Viele Bundesländer hätten dafür zu wenig Ressourcen, deshalb sei wohl nur die Optionslösung aussichtsreich, die es einzelnen Ländern freistellt, eine digitale Düngerdatenbank anzuwenden.

Wie reagiert der Kreislandvolkverband Vechta (KLV) auf die aktuelle Entwicklung? Die EU-Kommission habe bestätigt, dass bisher zu wenige Messstellen ausgewiesen wurden. „Das sehen wir bekanntlich ganz ähnlich“, sagte der KLV-Vorsitzende Dr. Johannes Wilking. „Auch würden wir eine dauerhafte Rechtssicherheit begrüßen, aber so richtig daran glauben können wir noch nicht“, führte er aus.

„Sollte sich hier nichts ändern, wird die Getreideernte in den nächsten Jahren immer magerer werden.“Dr. Johannes Wilking, Vorsitzender des Kreislandvolkverbands Vechta

Angesichts des neuen Verfahrens zur Ausweisung Roter Gebiete sei es „umso wichtiger, dass wir auf Dauer von der fachlich vollkommen unsinnigen Pflanzenunterversorgung wegkommen“, mahnte Wilking. Damit bezog er sich auf die Vorgabe, dass in Roten Gebieten 20 Prozent unter dem Nährstoffbedarf der Pflanzen gedüngt werden muss. Wilking: „Unsere Feldfrüchte brauchen ihren Nährstoffanteil zu 100 Prozent und nicht nur zu 80 Prozent.“ Zudem müsse CO2 gespeichert werden, „auch dafür braucht es gesunde und gut ernährte Pflanzen“.

„Sollte sich hier nichts ändern, wird die Getreideernte in den nächsten Jahren immer magerer werden“, betonte Wilking. Angesichts des drohenden globalen Getreidemangels kann er sich „nicht vorstellen, dass dauerhafte Minderernten“ politisch gewollt sein sollen.

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