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Meine lieben Toten

Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Die Liste lieber Verstorbener wird mit dem eigenen Alter länger. Doch die Erinnerung an sie sollte uns dankbar machen, nicht wehmütig.

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Vor einem halben Jahrhundert habe ich in Münster Theologie studiert. Es war eine tolle Zeit für mich, Freiheit lag in der Luft. Und Veränderung. Einer meiner Professoren war Johann Baptist Metz, ein Vordenker der „Politischen Theologie“. Die forderte, Christen sollten nicht nur auf das Jenseits warten, sondern auch das Diesseits verändern. Professor Metz sagte aber auch, die einzig völlig uneigennützige Liebe sei die zu den Toten.

Nun ist November. Totengedenken ist angesagt. Gedenken ist gut. Aber gibt es auch Verstorbene, die Sie lieben? Die Sie ganz fest ins Herz geschlossen haben? Deren Tod für Sie kein Grund war, die Freundschaft zu kündigen?

Ich denke jeden Morgen an Menschen, die mir viel bedeuten. An meine Familie. An Seelenverwandte und Weggefährten. An Menschen, um die ich mich sorge. Ich denke an sie und spreche ihren Namen aus. Und wie an die lebenden Herzensmenschen denke ich an die, die schon gestorben sind. An meine Eltern. An Verwandte, die wichtig waren für meinen Lebensweg.

Unser „Hausmädchen“, zu dem ich als Kind nachts ins Bett schlüpfen konnte

An Renate, unser „Hausmädchen“, heute würde man sagen, unserer Haushaltspraktikantin; meine Mutter fand sie wohl ein wenig antriebsschwach, aber ich war glücklich, wenn ich nachts zu ihr ins Bett schlüpfen durfte – mit 4 Jahren, wohlgemerkt.

An meine wunderbare Grundschullehrerin. An schon verstorbene ehemalige Kollegen. An Asmus, den Schwertmeister, der viel zu früh starb und mir dabei zeigte, was Tapferkeit ist. Und an Menschen, die in den letzten Wochen gegangen sind: an Elisabeth, die wunderbar Märchen erzählte. An den Professor, von dem ich am meisten gelernt habe. An meine Schwiegermutter, die niemals ihren Mut und ihre Würde verlor.

Noch wird die Kette der lebenden Herzensmenschen nicht kürzer, noch gewinne ich neue Freunde. Doch die Kette der lieben Toten wird immer länger. Das macht mich nicht traurig. Nicht einmal wehmütig. Eher dankbar. Dankbar für die Anregungen, die ich bekommen habe. Dankbar für die Freundschaft und manchmal auch Liebe, die mir geschenkt wurde. Die Kette dieser Namen kommt mir vor wie eine Lebensbilanz.

Asmus bleibt mein Freund, auch wenn der Krebs ihn besiegt hat

Jeden Morgen spüre ich, dass der Tod weder Liebe noch Freundschaft beendet. Sicher, Liebe kann sterben, Freundschaft zerbrechen. Das habe ich auch erlebt. Aber ich höre doch nicht auf, meine Mutter zu lieben, nur weil sie tot ist. Asmus bleibt mein Freund, auch wenn der Krebs ihn besiegt hat. Diese Erfahrung ist wohl der Anker des uralten Menschheitstraums vom Leben, das durch den Tod nicht entwertet wird zu Biomasse. Wie das sein sollte, weiß ich nicht.

Aber ich setze darauf, dass meine Liebe zu den schon toten Herzensmenschen ein Wegweiser sein könnte. Und ich wünsche allen, dass sie wenigstens einen Freund oder eine Freundin unter den Toten haben.


Zur Person

  • Dr. Heinrich Dickerhoff ist Akademiedirektor in Rente, Hausmann und arbeitet als freiberuflicher Dozent. Er wohnt in Cloppenburg.
  • Den Autor erreichen Sie unter: redaktion@om-medien.de.

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