Der Paragraf 130 des deutschen Strafgesetzbuches ist ein langer Paragraf. Ein sehr langer sogar. Das deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber es ganz genau machen wollte. Lieber klare Ansage. Der Diebstahl ist einfach definiert: Wer eine fremde Sache wegnimmt, um sie für sich zu behalten, klaut. Punkt. Wer täuscht und damit einen anderen schädigt, betrügt. Klare Sache.
Der 130er regelt die „Volksverhetzung“. Schon das Wort Hetze ist verwandt mit Hass und meint etwas Ur-Böses. Geschützt werden sollen Menschenwürde und öffentlicher Friede. Hetze ist ein Äußerungsdelikt.
Für eine Strafbarkeit reicht es aus, dass der Täter sich eine Aussage „zu eigen“ macht. Er muss sie nicht einmal selbst machen. Etwa „Bisexuelle Menschen sind Untermenschen“, sagt der eine öffentlich. Der andere sitzt daneben und sagt nichts. Er muss nicht mal zustimmend nicken. Schon greift der 130er.
Wenn gegen bestimmte Bevölkerungsteile gehetzt wird, wenn diese böswillig beschimpft oder verächtlich gemacht werden, ist der Tatbestand erfüllt. Oder wenn zu Hass und Gewalt aufgerufen wird wie „Homosexuelles Dreckspack, einfach aufhängen“, oder „Kauft nicht bei Juden“, bejaht der Ankläger öffentliches Interesse.
„L'amour toujours“ ist ein Song des italienischen Musikmachers Gigi D'Agostino. Es ist ein Liebeslied, wie der Titel schon sagt: ewige Liebe. Was ist bloß diesem unschuldigen Lied widerfahren? Rechtsextreme haben es mit rassistischen Parolen beschmutzt und grölen es auf Festen und Feiern. „Deutschland den Deutschen“ und „Ausländer raus“ bölken andere Blöde lauthals dazu. Wieder andere sitzen schweigend dabei.
„Bei Hetze kann selbst Schweigen strafbar sein.“
In Bunnen, ausgerechnet auf dem dortigen Kinderschützenkönigsfest, mitten im friedlichen und doch eigentlich offen Rassismus-freien Oldenburger Münsterland, dröhnen jugendliche Dumpfbacken derartiges protestlos und teilen es wichtigtuerisch oder lassen es teilen in den angeblich sozialen Medien, die weder sozial noch Medien sind. Das soll denn was sein. Cool ey!?
Aber jetzt haben sie den Salat. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat Anklage gegen zwei Jugendliche wegen Volksverhetzung erhoben. Gut so! Nicht, weil sie Nazis sind. Sie sind wohl keine. Sie haben die Vorwürfe eingeräumt. Offensichtlich tut’s ihnen leid.
Sie sind aber nicht unschuldig. Sie sind keine Schwerverbrecher. Sie sind auch keine Verbrecher. Es handelt sich um ein Vergehen, das mit Geldstrafe oder Gefängnis bedroht ist. Aber Bagatelle, sondern Bullshit. Doch wenn das Amtsgericht Cloppenburg die Anklage zulässt, wovon auszugehen ist, wird die hiesige Jugendrichterin sich der Sache annehmen. Und wenn es sich um Jugendliche handelt, wird die Verhandlung nicht öffentlich sein.
Doch der Schock der Anklage sitzt tief. Aber er wird heilsam sein. Eine Anklagebank ist hart. Da werden noch manch schlaflose Nächte bei draufgehen. Und eine Hauptverhandlung als beschuldigter Straftäter möchte auch keiner erleben. Hilft häufig mehr als eine Verurteilung. Aber wir sind im Jugendstrafrecht. Da regiert der Erziehungsgedanke. Vielleicht wird die erfahrene Jugendrichterin bei der Auswahl ihrer Maßnahmen Kreativität walten lassen, um den Jugendlichen ihre saublöde Dummheit deutlich vor Augen zu führen, damit sie das nie wieder machen. So etwas nennen die Juristen Spezial-Prävention.
Und für alle anderen soll gelten, was passiert, wenn ein Vollpfosten gegen bestimmte Bevölkerungsteile hetzt, diese böswillig beschimpft oder verächtlich macht. So etwas nennt sich General-Prävention und sollte jedem klarmachen: Bei Hetze kann selbst Schweigen strafbar sein.
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