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Die Kunst der Wiederholung

Kolumne: Auf ein Wort – Vor jedem Essen den Rosenkranz beten: Was erst langweilig klingt, kann auch positive Seiten haben.

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Können Sie sich noch an die Neujahrsansprache 1986 erinnern? Der damalige Bundeskanzler hieß Dr. Helmut Kohl. Am Ende seiner Rede wünschte er allen ein gutes neues Jahr 1986. Spätestens da hatten es alle gemerkt: Diese Rede war eine Wiederholung. Das war eine der größten Pannen der Fernsehgeschichte. Der Witz war: Viele dachten sich, dass von Politikern ohnehin nichts Neues kommt. Wiederholungen können monoton sein. Aber Wiederholungen können auch wohltuend und wichtig sein. Es gibt eine Kunst des Wiederholens.

Die amerikanische Filmkomödie „Und täglich grüßt das Murmeltier“ erzählt von einem Wettermoderator, der dazu verdammt ist, einen bestimmten Tag ständig zu wiederholen. Alles um ihn herum bleibt gleich. Jeden Tag dasselbe. Aber er wird ein anderer. Er nutzt die Wiederholungen, die sich vor ihm abspielen, als Gelegenheit. Die Wiederholungen holen das Beste aus ihm heraus. Am Ende kann er fließend Französisch und hat gelernt, Eisskulpturen zu machen. Warum? Natürlich, um eine schöne Frau zu beeindrucken. Anders gesagt: Die liebevolle Wiederholung hat das Beste aus ihm herausgeholt. Liebevolle Wiederholungen können helfen, das Leben zu vertiefen. Die Liebe lässt uns anders wiederholen.

"Rituale können hilfreich und Wiederholungen können wichtig sein: im geistlichen, aber auch im politischen und gesellschaftlichen Leben."

Manche Wiederholungen wirken auf den ersten Blick jedoch so platt wie die Kohl-Ansprache von 1986: nichts Neues, immer dasselbe. So ähnlich hat es lange Zeit auch der bekannte Hirnforscher und Künstler Professor Dr. Erwin-Josef Speckmann aus Münster empfunden. Als Kind und Jugendlicher hat ihn der traditionelle Rosenkranz abgestoßen. In einem Aufsatz beschreibt er einmal die Besuche bei einer Tante, die immer darauf bestanden hat, dass bei Tisch vor dem Essen der Rosenkranz gebetet wurde – in voller Länge. Wie ihn das genervt hat! Dem jungen Akademiker Speckmann erschien dieses scheinbare Rosenkranz-Geplapper als intellektuelle Zumutung. Jahre später, als Medizinprofessor, der als Hirnforscher internationales Ansehen genießt, kommt er nun zu einem überraschenden Ergebnis: Diese spirituelle Kunst der Wiederholung kann heilsam sein. Gerade die Wiederholungen können helfen, die „überheizte Hirnaktivität“ herabzusenken.

Rituale können hilfreich und Wiederholungen können wichtig sein: im geistlichen, aber auch im politischen und gesellschaftlichen Leben. Dazu gehören auch die historischen Erinnerungstage wie der 3. Oktober oder der 9. November. Bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen war vielfach von einer Denkzettel-Wahl die Rede. Denkzettel? Oder ist das erfolgreiche Abschneiden mancher Scharfmacher und Nationalisten Ausdruck einer Geschichtsvergessenheit? Auch das gehört zur Kunst der Wiederholung: dass wir nicht in die historischen Fehler früherer Generationen zurückfallen, sondern anders wiederholen.


Zur Person:

  • Pfarrer Dr. Marc Röbel ist Akademiedirektor der Katholischen Akademie in Stapelfeld.
  • Den Autor erreichen Sie per E-Mail an redaktion@om-medien.de.

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