Das Glück ist eine Insel
Kolumne: Die Welt ist ein Dorf; das Glück eine Insel. Wer Letztere verlässt, muss manchmal mit einer apokalyptischen Frage rechnen – zumindest auf Juist.
Max Meyer | 29.09.2025
Kolumne: Die Welt ist ein Dorf; das Glück eine Insel. Wer Letztere verlässt, muss manchmal mit einer apokalyptischen Frage rechnen – zumindest auf Juist.
Max Meyer | 29.09.2025
Da saßen wir nun. Gesättigt, gerädert und amüsiert. Tatort: Hubertus-Klause. Nicht das Berliner Spektakel hatte es uns angetan, sondern das Sich-wie-ein-Rentner-Fühlen auf dem Eiland. Dieses Mal gaben wir Langeoog den Laufpass – und justierten Richtung Juist. Der Mensch ist eben nur halb Gewohnheitstier. Zurück zum Ort des Geschehens: Die Klause ist ein Restaurant. Holzvertäfelt urig, vom Zigarettenrauch der Jahrzehnte gegerbt. Vielleicht etwas altbacken. Passt: Sind wir auch. Und: gut besucht. Das Gasthaus war dementsprechend laut, weil seine Gäste – im Gegensatz zu uns – noch mitteilungsbedürftig waren. Wie – das vorweg – der nette Nachbartisch. Fünf Frauen mittleren Alters saßen dort mit beiden Beinen stehend im Leben. Dabei unterhielten sie sich und uns angeregt. „Es war passiert: Ich mutierte zum Südoldenburger. Mir wuchs eine Multifunktionsjacke der Marke Isegrims aus dem Pullover. Meine Schuhe kamen denen der Segler gleich. Und aus der Jeans wurde eine Chino. Du kriegst Max aus dem OM, aber das OM nicht aus Max.“ Nein, der Feind hörte nicht mit. Im Gegenteil: Die Gestrandeten waren gar nicht fremd, sondern Lokal-Vertraute im doppelten Sinne. Drum kamen wir nicht herum, die Worte „Stoppelmarkt“, „Theater für Jedermann“ und „Lüsche, Bakum, Langförden“ zu überhören. Aber jetzt ins Gespräch einschalten? Nachher stellt sich wieder die Frage, ob wir mit dem Nachbartisch gekommen sind. Also: abwarten, Tee trinken. Machen Ostfriesen und Südoldenburger so. „Wenn wir eher gehen, sage ich was“, denke ich. Gibt’s ja schließlich nicht: Vechtaer am Nebentisch. Die müden Knochen noch einmal anheben nach 17.000 Schritten am ersten Tag (jeder fängt mal groß an), elegant am Nebentisch vorbeigleiten und locker aus der Hüfte knacken: „Landkreis Vechta. Da schicke ich doch glatt Grüße rüber aus dem Kreis Cloppenburg.“ Es war passiert: Ich mutierte zum Südoldenburger. Mir wuchs eine Multifunktionsjacke der Marke Isegrims aus dem Pullover. Meine Schuhe kamen denen der Segler gleich. Und aus der Jeans wurde eine Chino. Du kriegst Max aus dem OM, aber das OM nicht aus Max. Wir wechselten nette Worte. „Ach, OV?“. Kollege Chowanietz bei der Premiere des Theaters für Jedermann usw. Am nächsten Tag saßen wir beim Frühstück hintereinander. Die Welt ist ein Dorf. Die Folgetage wurden ein wettertechnisches Wechselbad der Gefühle: ein Intermezzo aus Sonne und Regen. Schaurig schön. Ich erinnere mich an die Kolumne „Rain“ – und sag: machste nix. Was meine Mutation zum Südoldenburger Rentner betraf, beruhigten mich indes zwei ältere Herren am Nebentisch in unserer Unterkunft, die den Altherrenwitz doch deutlicher lebten: „Womit verhütet Alice Schwarzer? Na, mit ihrem Gesicht.“ Man hätte eine Nadel im Speisesaal fallen hören können. Wohl bekomm's! Nach 5 erholsamen Tagen ausgiebiger Spaziergänge, Fischbrötchen, Kaffee, Kuchen und Co. sollte es heimwärts gehen. Aus den Miseren vergangener Rückfahrten dachten wir, gelernt zu haben: Schiff legt um 16.15 Uhr ab; da reicht es, wenn wir gegen 15.45 Uhr am Hafen sind. Als die Fähre wegen des starken Windes erst gegen 16.45 Uhr in Juist anlegte, sahen sich andere schon dabei, ihr Zelt am Pier aufzubauen – wenn sie im Hafenrestaurant noch Heringe übergelassen hatten. „Kommt der Pott noch?“, wurde zur apokalyptischen Frage. Wenn Rentner-Sein so ist, will ich das doch (noch) nicht. Was wir mitnehmen? Dass die Welt ein Dorf und das Glück eine Insel ist. Wer sie im Herzen trägt und die Leute so nimmt, wie sie sind, kann überall glücklich sein – sogar, wenn die Fähre Verspätung hat. Kollege Chowanietz: Theater für Jedermann
Zwei Herren leben den Altherrenwitz
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