Das Nachrichtenportal vonMünsterländische Tageszeitung MT undOldenburgische Volkszeitung OV

Zum Tag der Pressefreiheit: Der digitale Feudalismus

Aktuell erleben wir einen Großangriff auf den unabhängigen Journalismus – mit fatalen Folgen für eine freie, kritische Presse und eine lebendige Öffentlichkeit.

Artikel teilen:
Copyright: Heiko Sakura

Copyright: Heiko Sakura

Feudalismus ist die Herrschaft von wenigen, die man mit Macht ausgestattet hat und die diese nun für sich nutzen, im Extremfall zum Schaden aller anderen. Gegenwärtig erleben wir mit der Vernetzung der Welt nach der Erfindung von Schrift und Buchdruck die dritte große Kommunikationsrevolution der Menschheitsgeschichte. Das ist wunderbar, einerseits. Denn auf einmal haben sehr viele Menschen eine Stimme, die vorher zum Schweigen verdammt waren.

Anderseits kehrt unter den aktuellen Medienbedingungen eine Art von Feudalherrschaft zurück, geprägt von Opportunismus und Ideologie, getarnt als Big-Tech-Vision. Es sind einige wenige schwerreiche Plattform-Oligarchen wie Elon Musk (Besitzer von X, einst Twitter), Mark Zuckerberg (Facebook, Instagram) und Jeff Bezos (Amazon), die einen gesellschaftspolitisch noch nicht wirklich entzifferten Großangriff auf den unabhängigen Journalismus begonnen haben. Es ist ein Angriff, der geeignet ist, die Pressefreiheit zu gefährden und den Marktplatz der Ideen, diesen verletzlichen Kosmos von Diskurs und Argument, zu zerstören.

Der Autor: Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Foto: privatDer Autor: Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen. Foto: privat

Drei Strategien der Intervention der Big-Tech-Unternehmer zeichnen sich ab. Erstens die publizistische Gesinnungsvorgabe, die Nutzung der eigenen Medien und Plattformen, um missliebige Stimmen zu verdrängen oder aber erwünschte Positionen zu propagieren. Hier taugt Jeff Bezos als Beispiel, Besitzer der Washington Post. Er ließ, als der Wahlsieg von Donald Trump wahrscheinlicher wurde, rasch die bereits ausformulierte Wahlempfehlung der Zeitung für Kamala Harris stoppen. Erst kürzlich zwang er das Meinungsressort zu einer speziellen Kommentarlinie. Fortan gelte es, so seine Ansage, „persönliche Freiheiten und freie Märkte“ zu verteidigen – auch dies eine Verhöhnung der journalistischen Autonomie.

Zweitens werden die publizistischen Standards der Plattform nach Gutdünken und persönlich-privatem Eigeninteresse geändert. Hier kann Mark Zuckerbergs Gebaren als Beispiel herhalten. Nach Trumps Wahlsieg ließ er im Handstreich in den USA das Fakt-Checking auf Facebook abschaffen, eine Idee, die Donald Trump auf seine Drohgebärden gegenüber dem Unternehmenschef zurückführte.

Man kann diese Form der Machtausübung kaum überschätzen. Schon 2017 gab es – erneut sei Facebook als Beispiel genannt – einen weitreichenden Eingriff in den sogenannten Newsfeed. Seitdem werden Inhalte bevorzugt nach oben gespült, die Empörung und Wut auslösen; auch dies eine elementare Veränderung des Kommunikationsklimas. Diese Veränderung geht zu Lasten eines ausgeruhten, nachdenklichen Diskurses und des seriösen Journalismus, der längst die Hoheit über die zentralen Vertriebskanäle verloren hat und gar nicht anders kann, als sich selbst auch an der Logik der Algorithmen zu orientieren.

Kleine Preisfrage: Was geschieht, wenn Mark Zuckerberg morgen findet, dass Journalisten leider einfach nicht witzig genug sind und zu viel darüber schreiben, dass mit Hilfe von Facebook die Vertreibung und Ermordung der Rohingya in Myanmar orchestriert wurde? Um journalistische Angebote auf seinen Plattformen ins Nichts der Unsichtbarkeit zu stoßen, braucht es nicht viel, nur eine kleine Korrektur der Algorithmen. Plattformen lassen sich, so wird immer deutlicher, als global nutzbares Propagandainstrument für selbstherrliche Feudalherren einsetzen, die von publizistischer Verantwortung keinen Schimmer haben.

„Gegenwärtig haben ein paar wenige Einzelne viel zu viel Macht. Sollten diese Einzelnen zufällig die klügsten, gütigsten und weisesten Menschen auf Erden sein (was in den genannten Fällen nicht zutrifft), so wäre ihr Einfluss für jeden demokratisch und freiheitlich denkenden Menschen gleichwohl ein Skandal.“

Drittens wählen manche Big-Tech-Unternehmer den Weg der öffentlichen Dämonisierung des Journalismus. Hier lässt sich nun Elon Musk erwähnen, der seine Plattform Twitter/X in eine Jauchegrube verwandelt hat und seine Medienverachtung nach Kräften auslebt. Antisemitische und rassistische Attacken, Propaganda aller Art, die Verunglimpfung von Andersdenkenden – all dies bleibt nun viel zu oft stehen, seit Musk übernommen hat.

Überdies zielt er darauf ab, professionellen Journalismus durch die Schwarmintelligenz der Vielen zu ersetzen und attackiert klassische Medien ohne Unterlass – bis zu hundert Postings pro Tag setzt er zu den verschiedensten Themen ab – als Fake News-Produzenten, die Macht seiner mehr als 200 Millionen Follower im Rücken. Befeuert wird so ein Klima des Misstrauens, das im Zusammenspiel mit anderen Angriffen darauf zielt, die Glaubwürdigkeit des Journalismus zu untergraben.

Noch einmal: Gegenwärtig haben ein paar wenige Einzelne viel zu viel Macht. Sollten diese Einzelnen zufällig die klügsten, gütigsten und weisesten Menschen auf Erden sein (was in den genannten Fällen nicht zutrifft), so wäre ihr Einfluss für jeden demokratisch und freiheitlich denkenden Menschen gleichwohl ein Skandal. Denn der digitale Feudalismus ist publizistisches Mittelalter; er passt nicht in eine moderne, aufgeklärte Welt.


Fakten:

  • Zum Tag der Pressefreiheit schreibt die Bundeszentrale für politische Bildung: „Unabhängige und freie Medien (Zeitung, Fernsehen, Radio und auch Internet) gehören zu den Grundrechten demokratischer Länder. Auf die grundlegende Bedeutung freier Berichterstattung für Demokratien sowie auf Verletzungen der Pressefreiheit wird jährlich am 3. Mai mit dem Welttag der Pressefreiheit aufmerksam gemacht. Dieser wurde im Dezember 1993 auf Vorschlag der UNESCO von der Generalversammlung der Vereinten Nationen eingeführt. Das Datum erinnert an den Jahrestag der Deklaration von Windhoek am 3. Mai 1991, in der afrikanische Journalistinnen und Journalisten freie, unabhängige und pluralistische Medien auf dem afrikanischen Kontinent sowie weltweit forderten.“ (Quelle: Bundeszentral für politische Bildung)

Zur Person:

  • Der Autor Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Kürzlich erschien sein neues Buch „Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ (Hanser).
  • Sein Beitrag ist uns über den Bundesverband der Digitalpublisher und Zeitungsverleger zur Veröffentlichung am 3. Mai zur Verfügung gestellt worden.

Gut und kompakt informiert zum Feierabend: Abonnieren Sie jetzt kostenlos unseren neuen WhatsApp-Kanal und erhalten den Newsletter „N'Abend, Oldenburger Münsterland“. Und nicht vergessen, die Benachrichtigungen auf dem Glocken-Symbol zu aktivieren! Hier geht es direkt zum WhatsApp-Kanal

Hier klicken und om-online zum Start-Bildschirm hinzufügen

Zum Tag der Pressefreiheit: Der digitale Feudalismus - OM online