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An das Protokoll hält sich am Ende keiner

Kolumne: Besuche von Politikern sind immer wieder eine große Herausforderung für Journalisten. Es gibt aber eine Ausnahme.

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Dann steht er da. Natürlich aber mit dem Rücken zu den Kameras. Worüber sich Bundeskanzler Olaf Scholz mit dem Conti-Mitarbeiter in Hannover unterhält, lässt sich nur erahnen. Die anwesenden Kameraleute, Fotografen und Journalisten sind genervt. Es war doch alles vorher anders abgesprochen. Sogar geübt haben möchte man den Ablauf des Kanzler-Besuchs bei Conti vor wenigen Wochen, erzählt man uns später. Nur hat damals ein Mitarbeiter den Kanzler gespielt. Heute ist Olaf Scholz zu Gast.

Einer der Fotografen wagt einen letzten Versuch: "Herr Bundeskanzler, können Sie sich bitte einmal mit dem Herrn umdrehen und hier in die Kamera blicken?" Scholz scheint einen Moment zu zögern. Soll er wieder antworten: "Könnte ich. Das war es." So wie er es bereits bei der Pressekonferenz in Elmau rund um den G7-Gipfel getan hat? Doch der Kanzler dreht sich um; schaut in die Kamera. Die Fotografen machen ihr Foto. Immerhin ein brauchbares Bild haben sie jetzt im Kasten. Den Kollegen mit den Videokameras bleibt nur zu hoffen, dass später mehr für sie herausspringt. 

Ortswechsel. Celle; Feuerwehrschule. Hier hat sich Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens angekündigt. Es soll ein klassischer Antrittsbesuch werden. Die Kameradinnen und Kameraden aus dem Truppführerlehrgang wollen der Ministerin zeigen, was sie hier lernen. Es soll verschiedene Übungsorte geben. Die Verantwortlichen erklären den Journalisten, wie der Ablauf des Besuchs geplant ist. Zunächst soll es in einen nachgestellten Supermarkt gehen. Anschließend gehe es dann zu einem Nebengebäude, wo eine Person aus dem ersten Stock gerettet wird. Die Ministerin bleibe wahrscheinlich vor dem Haus stehen, heißt es. Alles ist vorbereitet. Die Ministerin kommt. Action.

"Anders als bei einem Spielfilm kann keiner sagen: Bitte wieder auf Position und noch einmal die Szene."

Jan-Christoph Scholz

Doch anstatt sich an den abgesprochenen Ablauf zu halten, schlagen Behrens und die anderen Beteiligten eine völlig andere Route ein. Den Kameraleuten und Fotografen bleibt nichts anderes übrig, als dem Tross hinterherzurennen. Schöne Bilder, wie etwa, die Ministerin läuft auf die Kamera zu, sind unmöglich. Anders als bei einem Spielfilm kann keiner sagen: Bitte wieder auf Position und noch einmal die Szene. Das wäre unhöflich.

Es sind nur zwei Beispiele, die aber Sinnbild für die meisten Politikerbesuche sind. Anders als beim britischen Königshaus hält man sich hierzulande anscheinend nicht gerne an das Protokoll. Wozu wird dann überhaupt der ganze Aufwand betrieben? Warum werden Besuche vorab durchgespielt? Warum wird ein klarer Ablauf festgelegt?

Ein grober Ablaufplan wäre für alle Seiten von Vorteil

Natürlich ist es besonders für die Fotografen und Kameraleute angenehmer, so zu arbeiten. Auch die Beteiligten haben durch einen Ablaufplan eine gewisse Sicherheit. Ein grober Plan wäre also für alle von Vorteil. Andererseits lassen diese spontanen Änderungen auch Raum für unerwartete Handlungen und Gespräche. Sie zeigen den Protagonisten mehr von seiner menschlichen Seite. Auch, wenn vieles in der Profi-Politik gestellt ist, bleibt somit ein Stück Authentizität. 

Es gibt übrigens eine Phase, die meist alle 4 bis 5 Jahre auftritt, wenn Politiker es lieben, im Rampenlicht zu stehen. Denn jede Geste zählt hier. Im Wahlkampf wirken viele Politiker wie ausgewechselt. Alle Seiten könnten sich einigen: Es braucht einen Mix aus beidem. Authentisch aber kontrolliert wäre wünschenswert. Doch das bleibt wohl Wunschdenken eines Journalisten. Denn spätestens bei meinem nächsten Termin werde ich eines Besseren belehrt.


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