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Zeitsprung: Die Freiheitsrechte als große Streitfrage

1968 begehrte vor allem die studentische Jugend gegen die Politik auf. Wie heute in „Corona-Zeiten“ ging es um die Frage, wie stark der Staat die Rechte der Bürger beschneiden darf.

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„Politik – wir machen mit“ – unter diesem Slogan hatte die Christliche Arbeiterjugend im Juni 1968 zur großen Diskussionsveranstaltung in die Oldenburger Weser-Ems-Halle eingeladen. Einer der Diskutanten war Bundesforschungsminister Gerhard Stoltenberg, hier in der Bildmitte im Gespräch mit Vechtas Offizial Heinrich Grafenhorst. Foto: Zurborg

„Politik – wir machen mit“ – unter diesem Slogan hatte die Christliche Arbeiterjugend im Juni 1968 zur großen Diskussionsveranstaltung in die Oldenburger Weser-Ems-Halle eingeladen. Einer der Diskutanten war Bundesforschungsminister Gerhard Stoltenberg, hier in der Bildmitte im Gespräch mit Vechtas Offizial Heinrich Grafenhorst. Foto: Zurborg

Es ging heftig zur Sache, im Frühjahr 1968: Streitfall waren die „Notstandsgesetze“, die die Große Koalition von CDU und SPD durch den Bundestag bringen wollten. Und in der Rückschau auf das totalitäre Naziregime, das gerade erst gut 20 Jahre überwunden war, stellte sich die Frage nach der Freiheit des Einzelnen – aus welchem Anlass und in wieweit der Staat diese Freiheiten beschränken durfte. Genau darüber wird ja auch heute in Corona-Zeiten immer wieder gesprochen.

Es war kein neues Thema, das damals auf der Tagesordnung stand. Ab den 1950er Jahren gibt es Bestrebungen, klar zu regeln, was zu tun ist, wenn die Bundesrepublik von außen oder innen massiv in Bedrängnis gerät – bis hin zum Kriegsfall. Je mehr politische Freiheiten der jungen Republik von den damaligen westlichen Besatzungsmächten zugestanden wurden, desto drängender wurde diese Frage.

Innenminister Paul Lücke brachte schließlich 1967 einen Gesetzentwurf in den Bundestag ein, der im Mai/Juni 1968 von Bundestag und Bundesrat angenommen wurde und am 28. Juni 1968 in Kraft trat. Er sah unter anderem vor, dass im Kriegsfall die Befehlsgewalt über die Bundeswehr auf den Bundeskanzler übergeht, bei inneren Notständen die Bundespolizei überall tätig werden darf oder – auch das war geregelt – in Seuchenfällen die Freizügigkeit der Bürger beschränkt werden darf. Die Rechte der Parlamente und Bürger wurden ansonsten weitgehend bestätigt.

Politischer Aufbruch auch auf dem Land ein Thema

Die geplanten neuen Gesetze zur Änderung des Grundgesetzes wurden am heftigsten kritisiert von der politisch sehr aktiven Studentenbewegung, der „außerparlamentarischen Opposition“ (APO). Der heute sehr verkürzt als „68-er“-Bewegung titulierte politische Aufbruch der Jugend äußerte sich in vielerlei Ausprägungen: Es gab im April die Kaufhausbrandstiftungen in Frankfurt, an denen Andreas Baader und Gudrun Ensslin beteiligt waren, in Berlin das Attentat auf Rudi Dutschke, zugleich aber auch die große, weitgehend friedliche Demonstration in Bonn am 11. Mai 1968.

Wenig beachtet wurde bisher, dass sich dieser politische Aufbruch der jüngeren Generation auch in den ländlichen Regionen abspielte. Studenten und Schüler begannen, sich intensiver um politische Fragestellungen zu kümmern. Viele forderten eine Teilhabe an der Demokratie und fühlten sich von den gewählten Politikern eher nicht vertreten.

Im Umfeld der Notstandgesetzgebung äußerte sich dies auch in Leserbriefauseinandersetzungen in den örtlichen Zeitungen. Am 29. Mai warf zum Beispiel der aus Dinklage stammende und in Münster studierende Heinrich Hoymann in der Oldenburgischen Volkszeitung der etablierten Politik den Fehdehandschuh hin. Er sah die „Freiheit und die Würde der Bürger bedroht“, stellte sich das große Kapital als Nutznießer dieser Gesetzgebung vor und vermutete gar, dass die SPD als Koalitionspartner der CDU mit diesem Gesetz „es wieder schafft, sich selbst zu entmachten“.

Franz Varelmann aus Lohne, CDU-Bundestagsabgeordneter von 1953 bis 1972, nahm diesen „Handschuh“ auf und erwiderte am 1. Juni mit massiver Schärfe: Er habe noch nie „soviel Unsinn und Unwahrheit“ in einem Leserbrief gefunden: „Armes Deutschland, armes Volk!“. Politische Demagogen und Volksaufhetzer vermutete er als Stichwortgeber hinter den studentischen Argumenten.

Franz Varelmann. Foto: ZurborgFranz Varelmann. Foto: Zurborg

Zwischen diesen scheinbar unvereinbaren Positionen versuchten wiederum andere Studenten zu vermitteln. Ludwig Brüggemann aus Cloppenburg, Jürgen Dinse aus Lohne, Horst Zapatka aus Cloppenburg und Otto Kläne aus Friesoythe meldeten sich zu Wort, um Partei zu ergreifen, zugleich aber auch, um zu vermitteln. Innerer Notstand, so eine Aussage, bestehe allein schon in der Tatsache, dass der unwissende Bürger zwischen den streitenden Kontrahenten stehe und gar nicht wisse, worum es gehe. Und den Politikern wurde vorgeworfen, im Vorfeld die Bedeutung der neuen Gesetze nicht ausreichend erläutert zu haben.

Der CDU-Politiker Gerhard Stoltenberg, damals Bundesforschungsminister, versuchte kurz darauf, zumindest verbal eine Brücke zu schlagen. Bei einer großen Kundgebung der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ) in Oldenburg unter dem Motto „Politik – wir machen mit“ nannte er die Forderung der jungen Menschen nach mehr Mitbestimmung und Demokratisierung „richtig, notwendig und gut“. Es müsse Chancen zu mehr Mitwirkung für die „mündigen Bürger und Christen“ geben.

Nun - auch nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze - gingen die studentischen Proteste weiter, gab es immer wieder hitzige Diskussionen, prallten Meinungen aufeinander – bis hin zu Extremen, den terroristischen Aktionen der „Rote-Armee-Fraktion“ (RAF) ab 1970.


Hans Hoymann, der Leserbriefschreiber von damals, der heute wieder in Dinklage wohnt, blickt gelassen auf diese Zeit zurück: „Wir waren damals politisch sehr interessiert, und das durchaus nicht im Sinne der CDU. Aber wir wollten Veränderungen auf friedlichem Wege und haben für Freiheitsrechte demonstriert.“ Forderungen zum Beispiel des marxistischen Studentenbundes Spartakus hätten ihn abgeschreckt.

Nach der Studentenzeit erloschen die politischen Aktivitäten – das gesamte Berufsleben hindurch. Und heute? Hans Hoymann ist Vorsitzender der Dinklager CDU-Seniorenunion, die mit ihren vielen Veranstaltungen auch das kommunalpolitische Leben in der Stadt bereichert.

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