Vorne hat die Farbe deutlich an Intensität eingebüßt. Hinten sind bräunliche Verfärbungen aufgetreten, die sich nicht abwischen lassen. In der Mitte ächzt es bei jeder Bewegung. Und jetzt ist auch noch eine Naht gekracht.
Die Rede ist nicht von meinen körperlichen Alterserscheinungen. Die Rede ist von meinem Portemonnaie, genauer: meinem ehemaligen Portemonnaie. Durch fast 2 Jahrzehnte hat das gute Stück mich nachhaltiger Weise begleitet und täglich Einsatz gezeigt. Mal mehr, mal weniger gefüllt, versehentlich liegengelassen und doch wiedergefunden, Feten und Einkaufstouren finanziert, mit mir um den halben Erdball gereist und auf den angestammten Platz auf dem Küchentresen zurückgekehrt: Das verbindet.
Wir waren ein eingespieltes Team. Hätte mich jemand nachts mit dem Ansinnen geweckt, ich möge mit verbundenen Augen exakt 12,48 Euro, einen nutzlosen Sanifair-Bon sowie meinen vor 14 Jahren abgelaufenen Journalistenausweis aus dem guten Stück klauben, wäre mir das ohne Weiteres gelungen.
Ich kannte mein Portemonnaie, so wie es umgekehrt meine Bedürfnisse kannte. Fütterte ich es auskömmlich, war es seinerseits immer bereit zu geben. Deshalb ist es vielleicht gar nicht verwunderlich, dass die Ausmusterung des langjährigen Kameraden und die Anschaffung einer neuen Börse zum emotionalen Akt geriet.
„Das ist das Schöne an der emotionalen Bindung an Gegenstände: Man kann ohne Widerspruch davon ausgehen, dass sie auf ewiger Gegenseitigkeit beruht, schmerzhafte Zurückweisung ausgeschlossen.“
Vergleichbares habe ich – wohl kein Einzelschicksal – mit Autos erlebt. Bis heute denke ich an meinen ersten fahrbaren Untersatz zurück, einen von meinem Vater teils eigenhändig zusammengebauten VW Derby, schwarz-rot mit attraktiven goldfarbenen Rallyestreifen. Schnickschnack wie Klimaanlage oder Servolenkung war ihm nicht zueigen. Dafür fror er im Winter nicht nur außen, sondern auch von innen zu, und den Rückwärtsgang konnten nur Insider einlegen. Ach ja, der Derby…
Ähnlich sentimental stimmte mich kürzlich der Umstieg auf neue Fußbekleidung für innerhalb der eigenen vier Wände. Sicher, die alten Hausschuhe waren nach mehreren Gebrauchsjahren nahezu ihres gesamten Profils verlustig gegangen und präsentierten sich mit abgewetzter Oberseite auch optisch nicht mehr ansprechend. Aber im Nachfolgemodell fühlen sich meine Füße einfach noch nicht zu Hause. Die Eingewöhnung läuft – buchstäblich.
Auch zwischen dem neuen Portemonnaie und mir läuft es vielversprechend. Gestern habe ich auf Anhieb passendes Kleingeld für die Frühstücksbrötchen aus ihm gefischt. Wenn das nicht der Beginn einer langen und wunderbaren Freundschaft ist!
Das ist das Schöne an der emotionalen Bindung an Gegenstände: Man kann ohne Widerspruch davon ausgehen, dass sie auf ewiger Gegenseitigkeit beruht, schmerzhafte Zurückweisung ausgeschlossen. Insofern bin ich mir sicher, dass sich auf irgendeiner heißen afrikanischen Wüstenpiste ein Derby nach den Südoldenburger Wintern zurücksehnt, in denen es ihm innen und außen angenehm kühl war.
Zur Person:
- Anke Lucht ist stellvertretende Pressesprecherin und stellvertretende Leiterin der Stabsstelle Kommunikation des Bistums Münster.