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Wenn ein Krokodil aus dem Rückhaltebecken hüpft

Meine Woche: Der Kampf um die Aufmerksamkeit trägt seltsame Blüten. Früher war das nicht viel anders.

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Kinder bringen mich leicht aus dem Konzept. Vor ein paar Tagen, ich kam gerade die Treppe herunter, warf mir die Freundin meiner Tochter einen überlegenen Blick zu. „Ralf Schumacher?“, fragte mich die 11-Jährige ernsthaft. Und dann: „Willst du wissen, was dein Auto wert ist?“

Mit Büchern über die Folgen von zu viel Medienkonsum lassen sich ganze Regalreihen füllen. Tatsache ist: Werbung ist überall, man kann ihr nicht entgehen. Meine Töchter wurden bereits früh infiziert. Die Reklame im Fernsehen schauen sie lieber als das eigentliche Programm. Am besten sitzen die Slogans der großen Supermärkte: „Lidl lohnt sich“, „Dann geh doch zu Netto“, „Wir lieben Lebensmittel“ – sogar den Aldi-Spruch, der mir gerade nicht einfällt, haben sie jederzeit drauf.

Werbung ist die Propagandasprache der freien Marktwirtschaft. Das war in meiner Jugend schon so. Sehe ich heute eine Packung Persil, spult sich in meinem Hirn reflexhaft der Satz „Da weiß man, was man hat“ ab. Läuft mir mein Nachbar über den Weg, will ich ihm automatisch ein freundliches „Hallo Herr Kaiser“ zurufen. Und natürlich weiß ich seit der Grundschule, dass Carglass nicht nur repariert, sondern auch austauscht.

„Welches politische System die dämlichsten Parolen herausgehauen hat, lässt sich nicht sagen.“

Anders als ich muss sich meine Frau nicht mit den Langzeitfolgen kapitalistischer Dauerberieselung herumschlagen. Sie stammt aus einem sozialistischen Land und ist damit unter komplett anderen propagandistischen Voraussetzungen aufgewachsen. Meine Persil-Losung hörte sich in der Welt ihrer Kindheit so an: „Lenin lebte, Lenin lebt, Lenin wird immer leben.“ Klingt sperrig – kommt aber nach 40 Jahren noch immer wie aus der Pistole geschossen. Die Frage, welches politische System die dämlichsten Parolen herausgehauen hat, lässt sich meiner Meinung nach nicht eindeutig beantworten.

Der nette Herr aus der Persil-Werbung hätte heute einen schweren Stand. Der Kampf um Aufmerksamkeit erreicht im digitalen Zeitalter noch einmal ein ganz anderes Level. Leicht Konsumierbares hat dabei einen klaren Wettbewerbsvorteil. Ein falsches Krokodil im Regenrückhaltebecken geht medial sofort durch die Decke. Und die überfallenen Geissens hatten – kaum verarztet – nichts Besseres zu tun, als ihren Zustand „bei Insta“ hochzuladen und damit eine Viertelmillion Klicks zu generieren. Vor ein paar Tagen ging ich an einer jungen Frau vorbei. Auf der Rückseite ihres T-Shirts prangte anklagend der Satz „Social Media Killed Romance“. Starke Aussage – wäre die Trägerin nicht im selben Moment derart intensiv mit ihrem Handy beschäftigt gewesen.

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Tageszeitungen müssen sich wohl oder übel auf diesen Wettstreit einlassen. Sorgsam analysieren sie das Klickverhalten, um die Interessen der „User“, die früher einmal Leser hießen, besser bedienen zu können. Auf meinem Mousepad finde ich ihre Bedürfnisse aufgelistet, damit ich sie nicht vergesse. So soll ich sie mit meinen Texten auf dem Laufenden halten, ihnen die Welt erklären, sie aber auch unterhalten, sogar berühren und neue Perspektiven aufzeigen. Ganz schön viel für einen kleinen Redakteur mit durchschnittlichem Bildungshorizont!

Was soll’s? So ist sie nun einmal, die schöne neue Welt. Also, fangen wir an: Wollen Sie wissen, was Ihr Auto wert ist?


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