Unterwegs im Krattholz: Antonius Bösterling spürt die Energie einer Kastanie. Foto: Niemeyer
Antonius Bösterling erkundet den Wald mit all seinen Sinnen. Er greift in den Waldboden, blickt in die Baumkronen und lutscht an Taubnessel-Blüten. "Probieren Sie mal", sagt er, "schmeckt nach Honig." All das gehöre zum Waldbaden dazu. Man solle den Wald kennenlernen, „vom Boden bis in die Krone“. Der Trend ist aus Japan bis nach Cloppenburg geschwappt. Das Eintauchen in den Wald lindere Depressionen, Stress und Burnout, sagt Bösterling. An der Volkshochschule bietet der 84-Jährige einen Kurs an und führt regelmäßig Gruppen durch das Krattholz bei Cloppenburg.
Bösterling möchte seinen Kursteilnehmern helfen, die Ruhe zu finden, nach der sie suchen. Sie sollten langsam gehen, tief einatmen und sich auch mal alleine unter einen Baum setzen. Schon wenige Minuten im Wald reichten aus, um den Blutdruck zu senken. Der Grund dafür seien Botenstoffe und ätherische Öle, die die Bäume an die Luft abgeben. In Japan gilt das Waldbaden gar als Medizin, dort spricht man von "Shinrin-yoku", das übersetzt "Wald(luft)bad" heißt. Auf Rezept können die Japaner in den Wald eintauchen. Es gibt dort spezielle Erholungswälder in den Stadtregionen.
Aus dem Hubschrauber Sturmschäden dokumentiert
Bösterling habe zuerst auf der Landesgartenschau in Bad Iburg von dem Thema gehört und das Waldbaden später nach Cloppenburg gebracht. Er habe früher in leitender Position beim Landkreis Cloppenburg gearbeitet und geholfen, die Wälder in der Region nach dem Orkan Quimburga 1972 wieder aufzuforsten. Mit dem Hubschrauber sei er damals über die Wälder geflogen, um die Sturmschäden zu dokumentieren.
An diesem Montagvormittag schlendert er durch das Krattholz und bleibt vor einer großen Buche stehen. Knapp unter der Krone umschlingen sich zwei Stämme. Warum ist der eine Stamm plötzlich nach links gewachsen, fragt Bösterling sich. "Wer hat den Befehl gegeben?", führt er weiter fort. "Gott?" Er sei ein religiöser Mensch und sein Glaube begleite ihn durch den Wald. Als Bösterling ein dreieckiges Blatt aufhebt, erinnert er sich an die christlichen Tugenden: Glaube, Liebe, Hoffnung.
Um den Wald zu verstehen, ihn für die Teilnehmer beim Waldbaden verständlich zu machen, greift Bösterling auch zur Esoterik. Vor einem "Brüderbaum" zückt er seine Wünschelrute. "An dieser Stelle kreuzen sich zwei Wasseradern", glaubt er zu wissen. Wenig später berührt er mit beiden Händen den Stamm einer alten Kastanie, umarmt ihn fast, und erklärt, er spüre Strömungen im Innern des Stammes. Auch der "Keltische Baumkreis", eine Art Horoskop, gehört zu Bösterlings Repertoire.
Leben von der Natur: Auch Buchenblätter sind essbar, sagt Antonius Bösterling. Foto: Niemeyer
Es scheint, als würde Bösterling auf vielfältige Weise eine Verbindung zum Wald suchen. Er zieht auch wissenschaftliche Studien heran und zitiert Albert Einstein: "Schau tief in die Natur, und dann wirst du alles besser verstehen."
Der Waldexperte glaubt, die Menschen hätten genau das verlernt. Alle blickten ständig auf ihre Smartphones, dabei sei es besonders im Wald wichtig, "die Farbe Grün zu erleben", das Wild zu beobachten, die Vögel zu hören und die Pflanzen zu probieren. Früher lebte der Mensch in und von der Natur. Bösterling sagt: "Wir sind genetisch so programmiert, dass wir die Natur lieben."
Vor einem Moor: Bösterling demonstriert, wie viel Wasser Moos speichern kann. Foto: Niemeyer