„Eine Zugfahrt, die ist lustig…“, hörte ich kürzlich in Abwandlung einer bekannten Weise jemanden leise summen. Ich vermochte nicht zu- oder gar einzustimmen. Schließlich befanden wir uns gerade auf genau so einer Fahrt, die alles war, nur nicht lustig.
Allen Vorurteilen zum Trotz war dieser akute Spaßmangel nicht etwa Missständen aus dem Verantwortungsbereich der Deutschen Bahn zuzuschreiben. Stattdessen kam mir während der Fahrt ein Sartre-Zitat in den Sinn: „Die Hölle, das sind die anderen.“ Denn von diesen anderen wimmelte es nur so.
Das begann schon auf dem Bahnsteig. Irgendwann muss die gute alte Sitte „erst alle aussteigen lassen“ ihre Gültigkeit verloren haben. Jedenfalls waren die den Zug Verlassenden gezwungen, sich armrudernd ihren Weg hinauszubahnen, während übermotivierte Einsteigende sich bereits in das Zuginnere quetschten.
Dorthin gelangte irgendwann auch ich. Während ein zunehmend resigniert klingender Lokführer per Lautsprecher zum Freihalten der Lichtschranken an den Türen aufrief – „Sonst müssen wir im Bahnhof übernachten, das kann keiner wollen!“ – , warf ich meinen Koffer in Richtung einer fast überquellenden Gepäckablage und mich selbst auf einen Sitz.
Die vage Hoffnung, die nächste Stunde friedlich wegduselnd zu verdämmern, erwies sich als verfrüht. Zuerst streifte sich mein Gegenüber tiefenentspannt die Sneaker von den Füßen und präsentierte gräuliche Socken samt entsprechendem Duft.
„Das suppende Gesamtkunstwerk auf den Knien balancierend, griff er sodann nach Zwiebel und Messer.“
Auf der anderen Seite des Gangs entwickelte sich die Situation ähnlich unerfreulich. Dort entnahm ein Mitreisender seinem Rucksack – für den offenbar ein Sitz reserviert war, zumindest blockierte er einen solchen – eine Dose Krautsalat, Joghurt, Fertig-Wraps, Zwiebel und Schälmesser. Den Joghurt entleerte der Feinschmecker über dem Salat und ließ beides in den Wrap klatschen. Das suppende Gesamtkunstwerk auf den Knien balancierend, griff er sodann nach Zwiebel und Messer.
An dieser Stelle stieg ich aus dem Geschehen aus und in den Nachbarwaggon um. Auf meinen Platz stürzte sich umgehend eine Frau, die im Gang gestanden hatte und wohl mit einem robusteren Geruchssinn gesegnet war. „Danke mir später“, dachte ich, und exakt das hatte sie offenbar vor. Zumindest gab sie statt Dank nur ein knappes „Vorsicht!“ von sich, als ich meinen Koffer an ihr vorbeiwuchtete.
Im nächsten Waggon waren Sitzplätze und Frischluft knapp. Zum Ausgleich wurde lautstarke Rapmusik aus einem Handy dargeboten, das sich vier Pubertierende kichernd hin- und herreichten. Immerhin benutzten sie keine Lautsprecherbox. Das wertete ich als Rücksichtnahme, ermahnte mich: „Positiv denken!“, und ertrug die restliche Fahrt mit Fassung. Zum eingangs erwähnten Gesang, den ein humorbegabter Mitreisender leise intonierte, schwieg ich allerdings. Da warte ich doch lieber, bis Sartre vertont wird.
Zur Person
- Anke Lucht ist stellvertretende Pressesprecherin und stellvertretende Leiterin der Abteilung Medien- und Öffentlichkeitsarbeit des Bistums Münster.