Ich bin ein Kratzbaum
Kolumne: Wenn Kratzmöbel zu langweilig werden, muss eben mein Rücken herhalten. Und dafür bin ich meinen Katzen sehr dankbar.
Julian Röben | 10.12.2025
Kolumne: Wenn Kratzmöbel zu langweilig werden, muss eben mein Rücken herhalten. Und dafür bin ich meinen Katzen sehr dankbar.
Julian Röben | 10.12.2025

Eigentlich mangelt es in meiner Wohnung nicht an Kratzmöbeln. Meine beiden Katzen können sich an drei Kratzbäumen, fünf Kratzpappen und diversen weiteren Spielzeugen nach Herzenslust auskratzen. Wer Lust auf etwas Exotischeres hat, darf sich natürlich auch am Bett, am Sofa oder an den Teppichen austoben – ich bin da nicht so. Es gibt aber definitiv Grenzen. Für mich ist das die Tapete. Wenn diese angegangen wird, hagelt es eine sofortige und unmissverständliche Bestrafung. Dann kommt das kleine Miezekätzchen nämlich erst einmal auf meinen Arm, wo ich ihr eine Standpauke erteile. Bei sanftem Öhrchen-Gekraule flüstere ich ihr zu, dass sie das mit der Tapete doch biiiitte, bitte in Zukunft nicht mehr ganz so dolle machen soll. Das wäre nämlich sehr lieb. Dann gibt es ein Küsschen aufs Näschen und vielleicht ein kleines Leckerli als Entschuldigung für die böse Schimpfe. Das war’s dann auch schon. Ich bin mir bis heute nicht sicher, warum diese Methode nicht ganz so durchschlagend wirkt. Es bleibt ein Rätsel. „Selbst wenn es nicht passen würde, was könnte ich schon dagegen ausrichten? Ich sanktioniere Frevel mit Küsschen aufs Näschen.“ Ebenso rätselhaft wie die Sache mit der Tapete ist die Tatsache, dass ich mittlerweile selbst regelmäßig als Kratzbaum herhalten muss. Zumindest für die eine Katze. Hin und wieder kommt es vor, dass sie sich nach einem ausgiebigen Nickerchen erst einmal strecken muss, um klarzukommen. Wenn ich in der Nähe bin, stützt sie sich dabei an meinem Bein ab, gähnt herzhaft und rammt ihre Krallen in mein Bein. Als wäre mein Bein einfach ein Möbelstück. Ich beschwere mich nicht, denn das ist süß, und ich mag ihre Pfötchen. Stattdessen streichele ich ihr Köpfchen und frage, wie sie geschlafen hat. Meistens gibt es keine Antwort. Manchmal hüpft sie auch einfach so auf meinen Rücken. Ich muss nicht einmal etwas tun, es reicht, wenn ich irgendwo stehe. Sobald sie Lust auf Aufmerksamkeit hat, sieht sie sich offenbar gezwungen, auf meinem Rücken herumzuhopsen. Von dort aus kraxelt sie auf die Schultern, und dann ist sie erst einmal zufrieden. Schultern findet sie sowieso toll: Man sitzt erhöht, hat eine Aussicht, es ist aufregend und man kommt ein bisschen rum, ohne sich selbst bewegen zu müssen. Es ist quasi wie in einem klassischen Touri-Doppeldeckerbus. Und ja, es tut manchmal ein bisschen weh. Es ist aber kein stechender Schmerz, sondern eher ein kleines Pieksen. Gut, manchmal spüre ich einzelne kleine Kratzer noch Stunden später, aber Katzen haben nun einmal Krallen. Passt schon. Selbst wenn es nicht passen würde, was könnte ich schon dagegen ausrichten? Ich sanktioniere Frevel mit Küsschen aufs Näschen. Ich bin nicht der Typ für große Schimpftiraden. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir: lieber mein Rücken als die Tapete.Zur Person:
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