Eine Woche zwischen Bahngleisen
Meine Woche: Das Auto und das Fahrrad habe ich in dieser Woche gegen die Bahn eingetauscht – eine Woche voller Geschichten.
Jan-Christoph Scholz | 09.04.2023
Meine Woche: Das Auto und das Fahrrad habe ich in dieser Woche gegen die Bahn eingetauscht – eine Woche voller Geschichten.
Jan-Christoph Scholz | 09.04.2023
8 Uhr, ein Montagmorgen. Normalerweise sitze ich um diese Uhrzeit auf dem Fahrrad oder im Auto in Richtung Büro. Meist alleine, mit Nachrichten oder Musik auf dem Ohr. In dieser Woche ist alles anders. Statt Fahrrad heißt es Bahn. An morgendliche Ruhe ist kaum zu denken, und doch hat die Fahrt etwas Beruhigendes. Es ist kalt an diesem Aprilmorgen. Die Handschuhe und Mütze liegen gut verstaut in einer Kleiderschrankschublade – immerhin, wir haben ja Frühling. Der Bahnsteig ist wie leergefegt. Ferienzeit. Nur vereinzelt stehen Reisende und starren auf ihr Smartphone. Da steht eine Frau im dicksten Wintermantel. Die Mütze hat sie weit über die Stirn gezogen. Ihre Hände klammern sich um einen Kaffeebecher. Wenige Meter weiter steht ein junger Mann in einer dünnen Übergangsjacke. Die Hände sind versteckt in dicken Handschuhen. Schon bei dem Anblick beginnt der Zusehende zu frösteln. Aber ein schönes Symbolbild für das aktuelle Wetter ist er allemal. Einen Tag später, ein Dienstagnachmittag. Zwei junge Frauen springen im letzten Moment in den Zug und lassen sich erschöpft auf die Sitzplätze gegenüber von mir fallen. Sie sprechen darüber, dass sie sich erst vor etwas mehr als 45 Minuten fertiggemacht haben. Das sei stressig gewesen. Anschließend geht es über ihr Outfit und über weiße Oberteile, die sich in der Wäsche befinden. Dann kramt eine von ihnen ein Niedersachsen-Ticket hervor. Schnell scheint ihr aufzufallen, dass sie keinen Stift dabei hat, um die Namen einzutragen. Sie schaut mich an und dann wieder weg. 5 Minuten später, kurz bevor ich den Zug verlasse, spricht sie mich an und fragt nach einem Stift. Ich gebe ihr den gewünschten Stift, mit der Bitte, sich zu beeilen, da ich gleich aussteigen muss. Zum Dank bekomme ich ein Lächeln, dann hält der Zug, und ich steige aus. Der Mittwochnachmittag ist sonnig. Ich sitze im Bus, und wieder steigt, kurz bevor der Busfahrer seine Türen schließen kann, ein Jugendlicher ein. Er bittet den Fahrer einen Augenblick zu warten, sein Freund komme noch. Es wirkt so, als ob er den Fahrer ein wenig beschäftigen möchte, denn der Junge fängt an zu reden. Er sei so glücklich gerade, denn er habe soeben die Zusage für einen Ausbildungsplatz erhalten. Es entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch zwischen dem Fahrer und dem Jungen. Für Außenstehende wird nicht ersichtlich, ob sich beide zuvor schon begegnet sind. Eigentlich ist das auch egal. Der Freund des Jungen steigt hastig in den Bus. Die Türen schließen sich. Der Donnerstagmorgen beginnt im Bahnhofsgebäude. Viele Reisende bleiben hier stehen, um nicht auf dem kalten Bahnsteig warten zu müssen. Diesmal haben fast alle Anwesenden Winterjacken und Handschuhe an. Hier und da sitzt aber schon die Sonnenbrille auf der Nase. Ich steige in meinen Zug und beginne eine E-Mail zu schreiben. Für 5 Minuten tauche ich ab und nehme meine Mitreisenden kaum wahr. Ob mich wohl jemand beobachtet hat? All die Reisenden erzählen eine kleine Geschichte und sind Teil einer Woche. Als Beobachter muss ich gar nicht lange warten, um Neues zu entdecken. Ehrlich gesagt habe ich mein ruhiges Auto oder das Fahrrad gar nicht vermisst. Trotz sicherlich einiger Nachteile bringt die Bahnfahrt zur Arbeit auch vor allem eines mit sich: Leben und viele neue Eindrücke. Einzig am Montagnachmittag ärgerte ich mich. Ich war 3 Minuten zu spät am Bahnhof, die nächste Bahn kam erst in 20 Minuten. Mit dem Fahrrad wäre mir das sicherlich nicht passiert. Und damit habe ich mich verraten. Denn meine Woche spielte nicht im Oldenburger Münsterland, sondern in der Landeshauptstadt Hannover. "All die Reisenden erzählen eine kleine Geschichte und sind Teil einer Woche. Als Beobachter muss ich gar nicht lange warten, um Neues zu entdecken."Jan-Christoph Scholz, Videoreporter
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