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Ehrgeiz ist Angst

Kolumne: Wer nichts wird, kann nichts sein – das ist zumindest der Aberglaube, der unserer Gesellschaft zugrunde liegt. Über die Widersprüche von Werden und Sein und den Faktor Ehrgeiz.

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Menschsein heißt Werden. Was für ein Widerspruch. Wer sein will, muss erst werden. Wer nichts wird, kann nichts sein. Das ist zumindest der Aberglaube, der unserer Gesellschaft zugrunde liegt. Geboren aus Ehrgeiz: dem ewigen Streben nach Erfolg, Geltung und Anerkennung.

Doch was hat der Ehrgeiz in dieser Welt angerichtet? Über diese Frage haben nur wenige Menschen ernsthaft nachgedacht. Einer von ihnen war der östliche Philosoph Jiddu Krishnamurti. Er demaskierte den Begriff, indem er die steile These aufstellte: Ehrgeiz ist Angst. Daraus ergeben sich diese Fragen:

Der ehrgeizige Mensch ist der Ängstlichste von allen

Wenn sich jemand anstrengt, warum tut er das? Um seine vorübergehenden Rollen in der Gesellschaft zu spielen? Oder um jemand zu sein? Wenn wer wen anderes übertrumpfen will, wenn er versucht, sich durchzusetzen, zu gewinnen – wie sieht es in den Herzen dieser Menschen aus?, fragt Krishnamurti.

Haben Sie sich selbst gefragt, wie es in Ihrem Herzen aussieht, wenn Sie der Ehrgeiz packt? Sind Sie dem Wurm der Angst auf die Schliche gekommen, der in ihm haust? Der Angst, niemand zu sein – oder nur derjenige, der man schon ist?

Krishnamurti behauptet: Der ehrgeizige Mensch ist der Ängstlichste von allen. Er fürchtet sich davor, zu sein, wer er ist. Er sagt sich: „Wenn ich einfach nur bin, was ich bin, dann werde ich nichts sein. Deshalb muss ich ‚jemand‘ werden: Ingenieur, Lokomotivführer, Richter, Minister.“

„Die Verben ‚werden‘ und ‚sein‘ stehen im Zusammenhang. Als logische Folge: Vom Werden zum Sein – wer nichts wird, ist nichts. Und im Widerspruch: Wer sich selbst verwirklicht – also etwas wird – kann erst glücklich sein. Und all diesen Zusammenhängen liegt der durch andere Menschen erzeugte Ehrgeiz zugrunde: die Angst davor, nicht genug, niemand zu sein.“

Heute haben sich die Berufswünsche vielleicht geändert. Erwerbsarbeit bleibt dennoch für viele Menschen identitätsstiftend. Beruflich jemand zu sein, geht nur übers Werden. Abseits des beruflichen Wachsens, das nie stoppt, ist die Selbstverwirklichung – was auch immer das bedeuten soll – hoch im Kurs. Wer etwas auf sich hält, verwirklicht sich – beruflich und/oder privat – mit dem Ziel, glücklich zu sein.

Sie sehen: Die Verben „werden“ und „sein“ stehen im Zusammenhang. Als logische Folge: Vom Werden zum Sein – wer nichts wird, ist nichts. Und im Widerspruch: Wer sich selbst verwirklicht – also etwas wird – kann erst glücklich sein. Und all diesen Zusammenhängen liegt der durch andere Menschen erzeugte Ehrgeiz zugrunde: die Angst davor, nicht genug, niemand zu sein.

Kein moralischer Kompass – bloß ein Denkanstoß

Haben Sie Freude am Werden? Weiter so. Daran ist nichts falsch. Diese Kolumne soll nicht zum moralischen Kompass werden. Sie ist bloß ein Denkanstoß.

Fragen Sie sich beim nächsten Mal, wenn Sie der Ehrgeiz packt, warum er es tut. Ich versichere Ihnen: Mit dem Wissen, dass vom Erreichen Ihrer Ziele nicht Ihr Selbstwert(-gefühl) abhängt, macht das Werden mit der Gewissheit des Schon-Seins im Hintergrund doppelt so viel Spaß – ganz ohne Angst.


Zur Person:

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