Das Nachrichtenportal vonMünsterländische Tageszeitung MT undOldenburgische Volkszeitung OV

Der Sommer und die Entdeckung der Langsamkeit

Kolumne: Auf ein Wort – Ist das Wetter schwül, muss man automatisch einen Gang herunterschalten. Das bringt einen auch zum Reflektieren – darüber, was das Wesentliche im Leben ist.

Artikel teilen:

Eigentlich bin ich gerne flott unterwegs. Wickle eins nach dem anderen ab und möchte zügig vorankommen. Das geht natürlich nicht immer. Nicht, wenn ich erstmal Informationen sammeln und nachdenken muss, wie eine Sache anzupacken ist. Nicht, wenn ich mit anderen zusammen ein Projekt angehe und mich in Ruhe abstimme.

An heißen Tagen im Sommer werde ich dazu gezwungen, alles etwas langsamer zu tun. Mein Körper gibt mir deutliche Signale, dass jetzt ein anderes Tempo angesagt ist. Beim Brötchenholen langsamer zu gehen. Bei der Arbeit öfter mal eine kleine Pause einzulegen. In Studienzeiten wohnte ich Tür an Tür mit einem guten Freund. Uns verband vieles, aber unser Lebenstempo war sehr unterschiedlich. Das war manchmal anstrengend: für mich, dass ich wieder mal auf ihn warten musste – für ihn, dass ich schon wieder vorpreschte.

„Der Sommer, die Hitze, der Urlaub – sie verschaffen mir die Chance, auch mein Lebenstempo einmal zu drosseln.“

Der Roman von Sten Nadolny „Die Entdeckung der Langsamkeit“ hat mir damals die Augen geöffnet. Es ist faszinierend zu lesen, wie der englische Kapitän und Polarforscher John Franklin gerade deshalb ein erfolgreicher Entdecker wird, weil er so langsam ist. Er trägt wesentlich dazu bei, dass die Nordwestpassage zwischen Atlantik und Pazifischem Ozean gefunden wird. John Franklin kann zwar mit dem Denk-, Sprech- und Lebenstempo seiner Mitmenschen nicht mithalten. Aber er verschafft sich gehörigen Respekt durch seine Gründlichkeit und seine Zielstrebigkeit. Menschen, die ihre Angelegenheiten und ihr Leben etwas ruhiger angehen, sind ein wohltuendes Gegenüber und eine Bereicherung. Sie entdecken Dinge, über die ich vielleicht hinwegsehe. Sie gehen in die Tiefe.

Der Sommer, die Hitze, der Urlaub – sie verschaffen mir die Chance, auch mein Lebenstempo einmal zu drosseln. Dinge, die sonst schnell getan werden müssen, langsam und genüsslich zu tun. Von meinen schnellen Lebensvollzügen zurückzutreten und darüber nachzudenken: Was tue ich da eigentlich, und warum mache ich es so und nicht anders? Festgefahrene Eindrücke und Einschätzungen zu überprüfen. Fragen nachzugehen, die ich sonst schnell beiseite schiebe.

Durch die Verlangsamung bekomme ich wieder neu ein Gespür dafür, dass das Wesentliche im Leben nicht von meinem Tempo und meiner Leistung abhängt. Dass ich nicht selber das schaffe, was mein Leben erfüllt. Dass mir vieles im Leben zufällt. Pointierter kann man es wohl nicht ausdrücken, als der Beter des 127. Psalms es getan hat: „Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen, denn seinen Freunden gibt der Herr es im Schlaf.“

Mit dem Augenzwinkern, das ich in diesen Worten mithöre, wünsche ich uns allen einen erholsamen Sommer und die Entdeckung der Langsamkeit.

Gut und kompakt informiert zum Feierabend: Abonnieren Sie jetzt kostenlos unseren neuen WhatsApp-Kanal und erhalten den Newsletter „N'Abend, Oldenburger Münsterland“. Und nicht vergessen, die Benachrichtigungen auf dem Glocken-Symbol zu aktivieren! Hier geht es direkt zum WhatsApp-Kanal

Hier klicken und om-online zum Start-Bildschirm hinzufügen

Der Sommer und die Entdeckung der Langsamkeit - OM online