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Blaue Rosen

Kolumne: Notizen aus dem wahren Leben – Ein chinesisches Märchen erzählt uns viel über die Einzigartigkeit jedes einzelnen.

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Schön ist die Tochter des Kaisers, von der ein chinesisches Märchen erzählt, schön und klug
und eigenwillig. Was sie nicht will, das will sie nicht. Und ganz gewiss will sie keinen Mann.
Ständig drängt sie ihr Vater, doch endlich einen Mann zu wählen, da sagt sie schließlich: „Gut, ich werde heiraten. Aber nur den, der mir eine blaue Rose bringt.“

Alle wichtigen Männer des Reiches werden nun dazu aufgefordert, nur drei nehmen die Herausforderung an: der erste ein großer Kriegsheld, der zweite ein reicher Kaufmann, der dritte ein hochgelehrter Magier. Der Krieger überfällt ein benachbartes Königsreich und erpresst einen riesigen blauen Edelstein, der zu einer Rose geschliffen wird. Der Kaufmann ersteht für ein Vermögen eine Schale aus Porzellan, zart wie ein Rosenblatt, und lässt vom teuersten Maler des Reiches dahinein eine blaue Rose malen. Der Magier findet die geheime Formel für einen blauen Sud, stellt eine weiße Rose hinein, und die färbt sich blau.

So kommen die Freier zum Kaiserpalast, doch keine der künstlichen Rosen und keiner der Freier findet Gnade in den Augen der Prinzessin. Macht, Geld und Wissen öffnen nun einmal keine Herzen. Aber am Abend trifft sie im Garten des Palastes einen jungen Spielmann. Der bezaubert sie durch seine Musik, sie bezaubert ihn durch ihre Schönheit – und ihre Herzen finden zueinander. Doch sie könne ihn nicht heiraten, sagt die Prinzessin, sie habe erklärt, sie würde nur den zum Mann nehmen, der ihr eine blaue Rose bringe. Und das Wort der Tochter des Kaisers sei wie ein Gesetz! Aber der Spielmann lacht nur: „Wenn’s mehr nicht ist. Morgen früh komm’ ich zu dir in den Palast mit einer blauen Rose!“

„Und mich erinnert das Märchen daran, dass in den Augen Gottes jede, jeder eine blaue Rose ist.“

Am nächsten Morgen pflückt er am Wegesrand eine weiße Rose ab, tritt vor den Kaiser und seine Tochter, verneigt sich und gibt der Prinzessin die Rose, die er in der Hand hält. Die Prinzessin nimmt die Blume und schaut den Spielmann an. „Ja, genau so eine blaue Rose habe ich mir immer gewünscht“, sagt sie. Und weil das Wort der Tochter des Kaisers wie ein Gesetz ist, darum ist die Rose nun blau und sie wird seine Frau. Die beiden heiraten und werden glücklich, und, so endet das Märchen, im Garten ihres Palastes blühen tausende weiße Rosen – aber sie nennen ihn nur „unseren blauen Garten“.

Macht Liebe blind? Oder sehend? Noch immer bekommen die meisten Eltern das schönste
Kind der Welt. Täuschen sie sich? Oder sehen sie nur tiefer? Ich wünsche jedenfalls uns allen,
dass wir ab und an blaue Rosen sehen. Und ab und an blaue Rosen sind. Und mich erinnert
das Märchen daran, dass in den Augen Gottes jede, jeder eine blaue Rose ist. Und die arme
geschundene Erde ist noch immer sein blauer Garten. Kein Schlachtfeld. Keine Deponie.
Sondern unser blauer Planet.





Zur Person:

  • Heinrich Dickerhoff ist Akademiedirektor in Rente, Hausmann und arbeitet als freiberuflicher Dozent. Er wohnt in Cloppenburg.
  • Den Autor erreichen Sie unter: redaktion@om-medien.de.

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