Die Konsequenzen dieser provokanten Frage sind in den letzten Jahrzehnten, wenn eben möglich, ausgeblendet worden. Die mit einer Lösung verbundenen Probleme waren scheinbar einfach zu abschreckend. Also wurde einfach nach der Vogel-Strauß-Politik verfahren: den Kopf in den Sand stecken und die Lösung der Thematik vertrauensvoll der nächsten Generation überlassen!
Diese Strategie geht aber immer weniger auf. Die Babyboomer stehen in den Startlöchern, um in Rente zu gehen. Wie jeder weiß, auch noch ziemlich viele. Und die Rentenkassen sind jetzt schon chronisch leer. Ein „Weiter so“ verbleibt daher kaum noch als Option.
Zur Lösung dieser Misere kam vor Kurzem aus dem politischen Raum der Vorschlag, die von der „Großen Koalition“ unter Angela Merkel 2014 eingeführte „Rente mit 63“ sofort abzuschaffen.
Das würde die Rentenkassen entlasten und einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels entgegenwirken, wie viele Ökonomen und Rentenexperten bekräftigten. Rational kann ich diese Forderung gut nachvollziehen. Aber ist sie, Generationengerechtigkeit hin oder her, auch fair?
Ich erinnere mich noch gut an meinen beruflichen Einstieg 1984. Die damaligen Arbeitsmarktbedingungen hatten so gar nichts mit den heutigen zu tun. Es gab keinen Fachkräftemangel, sondern einen Überschuss. Um die wenigen offenen Stellen rissen sich die Bewerber. In den Wintermonaten nahm unsere Region bundesweit Spitzenpositionen in der Arbeitslosenstatistik ein.
„Viele waren auch einfach nur froh, überhaupt eine Ausbildung machen zu können. Mit ,Wünsch dir was’ hatte das nichts zu tun.“
Auch Lehrstellen waren rar. Durch die starken Babyboomer-Jahrgänge fehlten sie an allen Ecken und Enden. Insbesondere für Traumjobs waren sie dünn gesät. Und häufig auch noch weit von zu Hause entfernt. Viele waren auch einfach nur froh, überhaupt eine Ausbildung machen zu können. Mit „Wünsch dir was“ hatte das nichts zu tun.
Zu einer Lehrstelle für alle reichte es aber nicht. Abhilfe brachte das Ausbildungsplatzprogramm des Landes Niedersachsen 1983. Es bot vielen Jugendlichen eine weitere Chance auf einen Ausbildungsplatz und wurde mein Einstieg in das Berufsleben bei der Erwachsenenbildung. Immerhin gibt es laut ZDF-Morgenmagazin bei den Boomer-Jahrgängen nur 5 Prozent, die keine Berufsausbildung haben. Heute sind es fast viermal soviel.
Der heutige Wohlstand unseres Landes ist zu einem erheblichen Teil von den Babyboomern erarbeitet worden. Wegen Arbeitslosigkeit war es ihnen aber oft nicht möglich, größere Rentenansprüche zu erwerben. Trotzdem haben sie über Jahrzehnte im Vertrauen auf eine angemessene Rente in das System eingezahlt.
Dass nun ausgerechnet diejenigen, deren beruflicher Start und Arbeitsleben schon nicht auf Rosen gebettet war, maßgeblich die gesellschaftliche Last einer verfehlten Rentenpolitik tragen sollen, ist nicht einzusehen.
Auf jeden Fall wird dadurch massiv das Vertrauen in die staatliche Rente verspielt. Dieser Vertrauensverlust tut unserer Demokratie nicht gut!
Info:
- Elisabeth Schlömer wohnt in Cloppenburg.
- Sie war Leiterin des Ludgerus-Werkes Lohne bis zu ihrem Ruhestand 2019. Momentan ist sie ehrenamtlich tätig bei den „Machern – zu jung, um alt zu sein“.
- Die Autorin erreichen Sie unter redaktion@om-medien.de.