„Ja, is denn heut schon Weihnachten?“ Spontan fiel mir der Spruch des Fußball-Philosophen Franz Beckenbauer ein, der mit diesen Worten 1998 einen neuen Mobilfunkanbieter bewarb. Meine Gedanken um eine verfrühte Bescherung kreisten in dieser tristen Novemberwoche um den großen Humoristen Loriot (1923-2011), dessen gesammelte Werke sonst gemeinhin um Weihnachten und Silvester im Fernsehen ausgestrahlt werden.
Nun etwas früher, und das aus gutem Grund, wie jeder TV-Zuseher in dieser Woche mitbekommen hat, denn der Herr mit dem bürgerlichen Namen Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow wäre am Sonntag (12. November) 100 Jahre alt geworden.
In diesen Zeiten des brachialen und klamaukigen Humors wirkt der von Loriot feinsinnig und präzise ersonnen; er hat ähnlich wie der seines nicht minder bedeutenden Kollegen Heinz Erhardt kein Verfallsdatum. Beide haben – jeder auf seine Art – dafür gesorgt, dass die Menschen im Nachkriegsdeutschland wieder etwas zu lachen hatten. Erhardt als Protagonist der Wirtschaftswunderjahre, Loriot als kluger und augenzwinkernder Analytiker des Alltags im Wohlfahrtsstaat, zu dem die Bundesrepublik geworden war.
"Loriot war darum bemüht, sein Schaffen in homöopathischen Dosen zu reichen."
Loriot war nicht allgegenwärtig, eher darum bemüht, sein Schaffen in homöopathischen Dosen zu reichen. Für die sechs von Radio Bremen ab 1976 produzierten 45-minütigen Sketch-Folgen ließ er sich 3 Jahre Zeit. Dafür blieben sie aber genauso im kollektiven Gedächtnis haften wie die beiden Kinofilme „Ödipussi“ (1988) und „Pappa ante portas“ (1991), die auch im Oldenburger Münsterland die Massen in die Lichtspielhäuser lockten. Loriot war der kreative Kopf und Hauptdarsteller. In der 2007 mit 65 Jahren viel zu früh verstorbenen Schauspielerin Evelyn Hamann hatte er eine kongeniale Partnerin.
Mein persönliches Hamann-Highlight ist ihre Rolle im Loriot-Sketch mit dem Titel „Die englische Ansage“, wo sie den bisherigen Handlungsablauf einer britischen Krimiserie zusammenfassen soll. Sprechen Sie gerne nach, achten Sie auf das „th“ (Ti-Eitsch) und tauchen Sie ein in die Landschaft zwischen Middle Fritham und Nether Addlethorpe, wo die beiden Cousinen Priscilla und Gwyneth Molesworth im Thrumpton Castle von Lord Molesworth-Houghton und Lady Hesketh-Fortescue ihr Unwesen treiben. Wer einen solchen Unsinn ersinnen kann, muss ein Großer sein – und wer es dann auch noch umsetzen kann, wie in diesem Fall Evelyn Hamann, ist dem geistigen Vater ebenbürtig.
Mir laufen so langsam die Zeilen davon, bei Loriot ja auch kein Wunder („Wo laufen sie denn?“), doch neben dem einsamen Kampf von Hamann im englischen „th“-Gestrüpp ruft sich bei mir immer wieder der Sketch mit dem Titel „Vertreterbesuch“ in Erinnerung. Frau Hoppenstedt in den Fängen dreier Herren, die Wein („Kröbener Krötenpfuhl“ von „Pahlgruber und Söhne“), einen Staubsauger mit integrierter Trockenhaube („Es saugt und bläst der Heinzelmann, wo Mutti sonst nur blasen kann“) und Versicherungen verkaufen wollen. Köstliches, feucht-fröhliches Chaos. Schauen Sie selbst rein – läuft spätestens wieder zu Weihnachten.
Zur Person:
- Alfons Batke blickt auf eine über 40-jährige journalistische Laufbahn zurück.
- Der 67-Jährige lebt als freier Ruheständler in Lohne.
- Den Autor erreichen Sie unter redaktion@om-medien.de.