Stutenbissigkeit haben wir nicht nötig
Kolumne: Frauen sind untereinander oft missgünstig. Wieso ist das eigentlich so?
Carina Meyer | 18.09.2023
Kolumne: Frauen sind untereinander oft missgünstig. Wieso ist das eigentlich so?
Carina Meyer | 18.09.2023
Ich schätze es, dass die meisten meiner Freundinnen ganz andere Berufswege eingeschlagen haben als ich. Beim Austausch über das Berufsleben kann das sehr bereichernd sein. Während wir uns kürzlich also wieder gegenseitig unser berufliches Leid klagten, einigten sich drei meiner Freundinnen auf folgende Feststellung: dass sie lieber mit Männern als mit Frauen zusammenarbeiten. Eine Ansammlung von mehreren Kolleginnen führe schnell zu Zickereien, fand eine Freundin. Aber ist das wirklich ein genderspezifisches Problem? Ich zumindest konnte das in meinem Arbeitsalltag so noch nicht beobachten – Dramakings haben ähnlich viele Momente wie Dramaqueens (hab' euch alle gern). Und unsere illustre Runde von fünf Freundinnen ist doch im Grunde der lebende Beweis dafür, dass eine friedliche Koexistenz von mehreren Frauen möglich ist. Diese angebliche Stutenbissigkeit ist aber leider ein reales Phänomen und tritt oft zutage, wenn sich Frauen – bewusst oder unbewusst – in Konkurrenzsituationen mit anderen Frauen wiederfinden. Diese ergeben sich im beruflichen Kontext natürlich schnell. Carolin Kebekus hat diesem Phänomen sogar ein ganzes Buch mit dem Titel „Es kann nur eine geben“ gewidmet. Der Ursprung der weiblichen Missgunst untereinander liege in den gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen und – wie bei so vielem – in der Kindheit, lässt uns Kebekus an ihren Erkenntnissen teilhaben. „Bei kleinen Mädchen werden Wut und Aggression sanktioniert, während sie bei kleinen Jungs meistens toleriert werden.“ Und weiter: „Kleine Mädchen lernen keinen offenen Umgang mit Konkurrenz, weil so ein Verhalten gar nicht erst geduldet wird.“ Also suchen sich Mädchen auf subtilere Wege ein Frustrationsventil. Viele Bereiche unserer Gesellschaft werden zudem nach wie vor von Männern dominiert – eine historisch gewachsene Tatsache, die sich erst allmählich ändert. In Gruppenkonstellationen – beispielsweise im populärkulturellen Kontext – findet sich oft nur eine Frau, stellt Kebekus fest. „Uns wurde wirklich lange und nachhaltig eingebimst, dass nur Platz für eine ist“, schreibt die Komikerin. Dabei beschreibt sie auch ihren eigenen Werdegang und wie sie für manche Shows nicht gebucht wurde, mit der Begründung, schon eine Frau im Programm zu haben. Weil eine wohl reicht. „Frau sein“ als Alleinstellungsmerkmal sozusagen. Interessant ist an dieser Stelle ein weiteres Phänomen, das Tara-Louise Wittwer in ihrem Buch „Dramaqueen“ beschreibt: „Laut einer Studie fühlen sich Männer schon in der Unterzahl, wenn Frauen nur 33 Prozent des Raumes einnehmen.“ Und weiter: „Wenn Frauen 17 Prozent einer Gruppe ausmachen, werden sie als 50 Prozent wahrgenommen.“ Bitte was? Wenn Männer also nach wie vor unser gesellschaftliches Leben dominieren, in vielen Fällen zusätzlich Entscheiderpositionen besetzen, und dabei eine verzehrte Wahrnehmung von gemischtgeschlechtlichen Gruppen haben – was heißt das für Frauen? Wahrscheinlich nichts Gutes. Gut ist dagegen: Wenn wir uns dieser Tatsachen bewusst werden, sind wir in der Lage, auch etwas daran zu ändern. Frauen steht nach modernem Rollenverständnis nicht mehr oder weniger Platz zu als Männern. Wenn Frauen sich gegenseitig dabei unterstützen, diese Plätze einzunehmen und merken, dass man sich gegenseitig gar nicht so viel wegnimmt wie zuvor gedacht, erledigt die "Stutenbissigkeit" sich schnell von selbst. Und das können wir ab sofort ja schon einmal bei der Arbeit üben. Wer weiß – vielleicht ist die nervige Kollegin in Wahrheit gar nicht so nervig. "Wenn wir uns dieser Tatsachen bewusst werden, sind wir in der Lage, auch etwas daran zu ändern."Carina Meyer
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