Der Vorläufer des Fleischwolfes ist das Wiegemesser
In die ehemalige Fleischerei Möller ist schon vor Jahren das Schlachtereimuseum Vörden eingezogen. Es zeigt mit vielen Exponaten die Geschichte eines Handwerks.
Christoph Heinzel | 08.08.2020
In die ehemalige Fleischerei Möller ist schon vor Jahren das Schlachtereimuseum Vörden eingezogen. Es zeigt mit vielen Exponaten die Geschichte eines Handwerks.
Christoph Heinzel | 08.08.2020
Dieter Stahl (links) und Karl-Heinz Oevermann am Wiegemesser. Foto: Heinzel
Es wiegt 125 Kilogramm und kam vor zwei Jahren aus Dresden in das Schlachtereimuseum Vörden. Dieter Stahl hat es selbst aus der sächsischen Landeshauptstadt abgeholt. Zum Glück für den 73-Jährigen konnte das schwere Teil auseinandergenommen werden. Der Besitzer hatte ihm diesen "Vorläufer des Fleischwolfes", ein stattliches Wiegemesser, angeboten. Dieter Stahl fackelte da nicht lang, schlug ein und konnte damit drei andere Interessenten ausstechen. Das Familienerbstück kam ins Museum. Bis etwa 1900 wurde mit Wiegemessern Fleisch besonders schonend zerkleinert. Zwei Mann waren notwendig, um das schwere Gerät zu bedienen. Mit Begeisterung erforscht der Vorsitzende des Heimatvereins Vörden für sich die Vielseitigkeit des Fleischerhandwerks. "Es macht mir unglaublich viel Spaß", meint Dieter Stahl über sein ehrenamtliches Engagement. Wobei sich das nicht im Sammeln erschöpft. Stahl führt auch Besuchergruppen durch das Haus. Stahls Führungen dauern mindestens anderthalb Stunden. Durchschnittlich ein bis zwei Gruppen empfängt er in der Woche – vor Corona allerdings. Derzeit ist das Museum geschlossen. Zwar sei eine Öffnung theoretisch denkbar, erklärt Stahl. Praktisch aber gehe die Sicherheit vor. Angedacht ist nun, ab September wieder Gäste zu empfangen – falls die Infektionszahlen das zulassen. Das Schlachtereimuseum befindet sich in der ehemaligen Fleischerei von Wilhelm Möller. Er führte seinen 1895 gegründeten Betrieb bis 2002 und fuhr in dieser Zeit immer noch zum Wochenmarkt nach Osnabrück. Nachdem Möller sein Geschäft aufgegeben hatte, kaufte der Heimatverein Vörden das Gebäude samt Scheune. Einer der Gründe für diese Entscheidung war, dass dort Friedrich Sickendiek gelernt hatte. Der Vördener gründete 1949 die Sickendiek Fleischwarenfabrik, die Firma gehört heute zur Reinert Gruppe, produziert weiterhin in der Gemeinde und ist nach eigenen Angaben einer der führenden Hersteller von SB-Wurstwaren in Deutschland und Europa. Noch um 1900 gab es in Vörden bei 900 Einwohnern neun Schlachtereien, die ihre Waren auf den Wochenmärkten in Osnabrück und dem Ruhrgebiet verkauften. An diese Tradition knüpft das Museum an. "Wir wollen es für die Nachwelt erhalten", sagt Dieter Stahl. Dazu gehört auch die Geschichte von Hausschlachtungen, die in der Region noch bis Ende der 1950er Jahre ganz normal waren. Sowohl Dieter Stahl als auch Karl-Heinz Overmann, der Schatzmeister des Heimatvereins, haben dies in ihrer Kindheit erlebt und arbeiteten dabei mit. So mussten sie beispielsweise das noch warme Blut des Tieres mit der Hand rühren, damit es nicht gerann. Karl-Heinz Oevermann schildert die aufwendige Prozedur einer Hausschlachtung, deren Utensilien im ersten Stock des Schlachtereimuseums ausgestellt sind. "Sobald das Schwein am Haken hängt, wird erst einmal einer eingeschenkt." "Wir lebten mit den Tieren zusammen und wussten auch schon als Kind, das ist später einmal unsere Nahrung", erzählt der 81-Jährige. Die Schweine wurden bis auf 300 Kilogramm aufgepäppelt. Geschlachtet wurde aber nur im Winter, also von Oktober bis März, denn es musste kalt sein. Mit einem Bolzenschussgerät wurde das Schwein betäubt, bevor die Adern durchstochen wurden, damit das Tier ausbluten konnte. "Sobald das Schwein am Haken hängt, wird erst einmal einer eingeschenkt", hieß es damals, sagt Dieter Stahl. Nach dem Ausbluten wurden die Borsten des Schweines entfernt. Dafür wurde es mit siedendem Wasser übergossen und anschließend mit der Glocke abgezogen. Das Werkzeug bekam seinen Namen wegen seines Aussehens und nicht wegen seiner Verwendung. Nach der Untersuchung auf Trichinen (Parasiten) durch den Fleischbeschauer wurde es zerteilt und weiterverarbeitet. Die ganze Familie wirkte an der Hausschlachtung mit. Dabei wurde das ganze Tier verwertet und nicht wie heute nur bestimmte Teile. "Schweinespeck war nach dem Zweiten Weltkrieg eine Art Währung", meint Karl-Heinz Oevermann. „Unser Schlachtereimuseum ist einmalig in Deutschland!“ Stolz sagt Dieter Stahl: "Unser Schlachtereimuseum ist einmalig in Deutschland!" Zwar gebe es das Deutsche Fleischereimuseum in Böblingen, aber einen "kompletten Betrieb gibt es nur hier in Vörden“" konstatiert der 73-Jährige und ergänzt, "wir haben hier von der Viehwaage bis zur Ladentheke einen über drei Etagen gehenden kompletten Betrieb von 1895".Zwei Mann bedienten das 125 Kilogramm schwere Wiegemesser
Hausschlachtungen waren bis Ende der 1950er Jahre ganz normal
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