Das Stück "Sophie und Ich" regt zu Diskussion und Reflexion an
Das Duodram entwickelt die fiktive Freundschaft zwischen einer Widerstandskämpferin und einer Mitläuferin während der Zeit des Nationalsozialismus. Das Vechtaer Publikum ist berührt und beeindruckt.
Die fiktive Freundschaft von Sophie Scholl (Lara Henneberger, liegend) und Traudl Junge (Kristina Schleicher) beginnt beim Bund Deutscher Mädel (BDM). Foto: Heinzel
„Sophie und ich“ ist ein beeindruckendes, sehenswertes und zu Diskussionen und Gesprächen anregendes Theaterstück über die hingerichtete Widerstandskämpferin Sophie Scholl (1921 bis 1943) und Adolf Hitlers Privatsekretärin Traudl Junge (1920 bis 2002). Das Zweipersonenstück erzählt die fiktive Freundschaft der beiden Frauen anhand von vier Treffen.
Eingeleitet werden diese durch den geschickten Einsatz von Wochenschauausschnitten, Plakaten und Bildern. In Kombination mit der Musik von Thomas Parr setzen sie den Ton für diese Zeitabschnitte. Dies ermöglicht dem Zuschauer, in die Stimmung und Atmosphäre der Situation einzutauchen.
Das zweite Gespräch spielt 1940 in der Anfangszeit des zweiten Weltkrieges als Traudl Junge (Kristina Schleicher, links) Tänzerin werden will, aber zu einer Sekretärin Adolf Hitlers wird. Foto: Heinzel
Das Publikum im Vechtaer Metropol-Theater beeindruckte und berührte das Stück so sehr, dass es am Ende einige Momente brauchten, um sich zu fangen. Dementsprechend steigerte sich der anfangs verhalten wirkende Applaus kontinuierlich und mündete in weiteren starken Beifallsbekundungen.
Die Deutschen Kammerschauspiele aus Endingen brachten das Stück nach Vechta. Stadt und Bürgerstiftung Vechta hatten die Aufführung ermöglicht und ganz bewusst am Gedenktag zur Reichspogromnacht vom 9. November 1938 angesetzt. Damals zogen organisierte Schlägertrupps durch Deutschland. Sie brannten Synagogen nieder und zerstörten jüdische Geschäfte und Wohnungen. Tausende Juden wurden misshandelt, gedemütigt, verhaftet oder getötet. Ein Ereignis das sich 2023 zum 85. Mal jährte.
Es ist ein durch Regisseurin Annette Greve klug und durchdacht inszeniertes Werk, das eigene Wege geht. Die beiden Hauptfiguren stehen zugleich pars pro toto für Teile der deutschen Gesellschaft während des Nationalsozialismus und danach. Die Figuren greifen Narrative und Argumentationsmuster der jeweiligen Zeit auf. Das 80-minütige Duodram beschränkt sich dabei auf das Notwendige, um den Charakteren Schärfe und Tiefe zu geben sowie ihre Positionen, Ansichten und Motivationen zu verdeutlichen. Dadurch gelingt es, das Stück nicht zu überfrachten.
Während der Schlacht von Stalingrad kulminiert die Freundschaft der beiden Frauen in Entfremdung. Sophie Scholl (Lara Henneberger, links) ist Mitglied der Widerstandsgruppe Weiße Rose. Traudl Junge (Kristina Schleicher) unterstützt weiterhin unkritisch den Nationalsozialismus. Foto: Heinzel
Vier Treffen zeichnen die Gespräche von Traudl Junge und Sophie Scholl nach. Er führt über das Kennenlernen beim Bund Deutscher Mädel (BDM), den Anfang des Krieges und die Schlacht von Stalingrad in die Nachkriegszeit. Anfangs teilen die beiden Frauen das Gemeinschaftsideal des Nationalsozialismus, wobei Sophie Scholl bereits offen für andere Meinungen ist. Sie zitiert ein Schmähgedicht auf Adolf Hitler (Bertold Brechts „Das Lied vom Anstreicher Hitler“). Traudl Junge hingegen ist unpolitisch und sagt: „Ich will Tänzerin werden. Gedanken und Gefühle mit dem Körper ausdrücken.“ Beim zweiten Treffen sagt sie pointiert: „Ich will doch nur leben!“
Lara Henneberger als Sophie Scholl und Kristina Schleicher als Traudl Junge beeindrucken mit ihrer Bühnenpräsenz und ihrem intensiven Spiel, das niemanden unberührt lässt. Es gelingt den beiden durch ihr nuanciertes und pointiertes Spiel, die beiden sich immer konträrer entwickelnden Lebenswege voranzutreiben. Die klare, unprätentiöse Sprache der Inszenierung unterstützt dies geschickt.
Sophie Scholl (Lara Henneberger, rechts) klagt an und legt den Finger in die Wunde von Traudl Junge (Kristina Schleicher), die darauf verweist nichts gewusst und getan zu haben sowie sowie kein überzeugter Nazi gewesen zu sein. Foto: Heinzel
Aus albernen, unbeschwerten Frauen, die voller Neugier auf das Leben blicken, wird im Falle Traudl Junges eine Mitläuferin, die durch ihre Passivität alles geschehen lässt. Sophie Scholl dagegen hinterfragt, kritisiert und sucht einen Weg, um zu handeln und aufzurütteln. Dies kulminiert in einer Entfremdung der beiden Frauen. Sophie Scholl schreibt und verteilt Flugblätter der Widerstandsgruppe Weiße Rose während Traudl Junge kritiklos die Soldaten an der Front unterstützt.
„Jeder kann sich entscheiden, das gute oder das richtige Leben zu führen.“
Sophie Scholl zu Traudl Junge in
Der letzte Zeitabschnitt führt in die Nachkriegszeit und Traudl Junges Aussage: „Ich fühle mich so allein und schuldig. Ich war kein überzeugter Nazi, ich wusste nicht wo ich hineingeraten bin.“ Dem entgegnet die inzwischen mit dem Fallbeil hingerichtete Sophie Scholl schlicht: „Oder du wolltest es nicht wissen.“ Letztlich klagt sie an, indem sie sagt: „Jeder kann sich entscheidend, das gute oder das richtige Leben zu führen.“ Der wichtigste und entscheidende Satz, den Sophie Scholl zu Traudl Junge sagt, ist aber: „Keine Entscheidung ist auch eine Entscheidung!“
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