Auf dem Weg von der Zucht zur Ladentheke sind manche besser dran, andere schlechter. Arm dran sind diejenigen, die am untersten Ende der Nahrungskette ihr Dasein fristen. Sie verfügen über keine Trecker, mit denen man das Brandenburger Tor versperren oder über keine Hausarztpraxis, die man einfach zu und die Patienten draußen lassen kann oder über keinen ICE, der einfach stehen bleibt und die Gleise blockiert.
Die mehr als 800 Frauen und Männer, die jetzt von der niederländischen Schlachthoffirma Vion auf die Straße in Emstek gesetzt wurden, sind Figuren auf einem agrargroßindustriellen Schachbrett und werden entsprechend behandelt. Menschenware eben. Menschenunwürdig waren die Verhältnisse, unter denen sie gearbeitet haben, schon vor der Kündigung. Doch solange es genug arme Menschen gibt und auf der anderen Seite genug Rendite für die Firmen, solange passt der Deal.
Do ut des, wusste schon der Lateiner. Geben und nehmen. Und wenn nicht mehr genug übrig bleibt, wird der Schlüssel umgedreht. Was soll’s? Heuern und feuern heißt das. Wen stört’s? Hauptsache, der Preis an der Ladentheke wird noch billiger. Diejenigen, die es gut meinten mit den Kosovaren, Mazedoniern oder Bulgaren und dann den Rumänen allüberall an den Zerlegebändern im Oldenburger Münsterland, forderten Jahr für Jahr bessere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Was dann auch endlich gelang.
"Tauchen wie in der Weimarer Zeit wieder Schilder auf wie 'Nehme jede Arbeit an'?"
Der Arbeitnehmerverleih wurde stark eingeschränkt, Knebelverträge, bei denen Vermieter und Verleiher eins waren, werteten Gerichte als das, was sie waren, nämlich Knebelung; bei Arbeitsunfähigkeit musste das Entgelt fortgezahlt werden, und der Mindestlohn schob den Riegel vor die ärgsten Auswüchse. Jetzt stehen sie auf der Straße. Hunderte vorwiegend Rumänen und ihre Familien drängen auf den ausbildungslosen Markt der Angelernten.
Tauchen wie in der Weimarer Zeit wieder Schilder auf wie "Nehme jede Arbeit an"? Neigt sich unser Tanz auf dem Vulkan dem Schlussakkord zu? Wir dachten lange, die Agrarindustrie und ihre nachgelagerten Betriebe hätten uns aus der Armut der 50er Jahre endgültig befreit. Umso nachsichtiger waren wir doch mit den Spänen, wenn gehobelt wurde. Jetzt wird immer weniger geschlachtet. Folglich braucht man immer weniger Zerleger.
Das Oldenburger Münsterland gerät zum unerschöpflichen Markt der ungelernten Zuwanderer zu werden. Zugreifen bitte. Aber auch Amazon und Lidl können nicht sämtliche Unqualifizierten aufnehmen. Und zurück in die alte Heimat wollen die wenigsten. Und was dann? Ausländer raus? Alle mittelbar Beteiligten maulen meist darüber, dass sie nicht besser informiert worden seien. Aber schnell beruhigt man sich gegenseitig. Emsteks Bürgermeister ist – wie verlautet, "guter Dinge". Die Gewerkschaft hofft auf eine Abfindung.
Voll der Klage ist die Stadt Cloppenburg. Sie braucht die Vion-Abwässer für ihre überdimensionierte Kläranlage. Die Holländer ziehen sich hinterm Deich zurück. Dank je wel. Und wie lange machen die Dänen von Danish Crown noch mit? Mange tak und bitte nicht hej hej. Zu sagen haben wir sowieso nichts. Bei Menschen "erster Klasse" wäre bei einer solchen Firmen-Schließung wie jetzt bei Vion der Teufel los gewesen. Kommune, Kreis und gar Kirchenvertreter hätten Unsozialität bis zum Himmel beklagt. Bei Vion aber sind es hauptsächlich Menschen "zweiter Klasse", die betroffen sind. Das mildert deutlich die Betroffenheit.
Zur Person:
- Otto Höffmann ist Rechtsanwalt in Cloppenburg.
- Den Autor erreichen Sie unter der E-Mail-Adresse redaktion@om-medien.de.