Arbeit ist das halbe Leben, sagt man manchmal so daher. Ob da was dran ist, kann jeder für sich mit einer scheinbar simplen Formel berechnen: Arbeitszeit geteilt durch Lebenszeit. Nur: So einfach ist das gar nicht. Erstens weiß niemand, wie alt er oder sie wird. Und zweitens muss klar sein, was überhaupt zur Arbeitszeit zählt.
Ein Blick in den Arbeitsvertrag reicht dafür nicht aus. Immerhin schmeißen die meisten noch einen Haushalt. Viele pendeln jede Woche mehrere Stunden. Manche halten ihren Garten in Schuss. Andere arbeiten neben ihrem Beruf ehrenamtlich in Vereinen, betreuen Kinder oder pflegen Angehörige. Ist das nicht auch alles Arbeit? Denn was Arbeit ist, hängt nicht davon ab, was uns dazu motiviert. Für Arbeit braucht es keinen Vertrag.
Wenn Ökonomen über „Arbeitszeit“ sprechen, meinen sie in der Regel nur die „Berufsarbeitsstunden“. Davon leisten die Deutschen zu wenig, sind sich einige Volkswirtschaftler und Politiker sicher. Die 61,3 Milliarden Stunden im vergangenen Jahr reichten nicht. Die deutsche Wirtschaft sei nicht produktiv genug, weil die Deutschen zu wenig arbeiten. Das müsse sich ändern.
„Es ist anzunehmen, dass viele Deutsche zu viel arbeiten – und nicht zu wenig.“
Wie? Die nächste Bundesregierung will zum Beispiel Überstunden attraktiver machen und den 8-Stunden-Tag aufweichen. Stattdessen soll es eine wöchentliche Höchstarbeitszeit geben. 13-Stunden-Arbeitstage wären rechtlich wieder erlaubt. Ich halte das für den falschen Weg.
Studien zeigen, dass Menschen in der Regel maximal 6 Stunden pro Tag konzentriert und produktiv arbeiten können. Mehr kann unser Gehirn nicht leisten. Ein 8-Stunden-Arbeitstag ist nur gesund mit ausreichenden Pausen und abwechslungsreichen Tätigkeiten. Regelmäßig mehr zu arbeiten ist für die meisten schlicht gesundheitsschädlich. Schon heute tragen zu viel Arbeit, ein zu hoher Arbeitsdruck und ständige Erreichbarkeit zu einem Anstieg psychischer Erkrankungen unter Arbeitnehmern bei. Betroffene sind oft wochenlang krankgeschrieben. Depressionen, Angststörungen und Burnout machten laut DAK-Gesundheitsreport im vergangenen Jahr schon 16 Prozent aller Krankheitstage aus. Das war der höchste Anteil seit Beginn der Erhebungen. Ein Alarmzeichen, das man ernst nehmen sollte.
Es ist anzunehmen, dass viele Deutsche nicht zu wenig arbeiten – sondern zu viel. Und zu viel Arbeit macht auch körperlich krank, schreibt die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und -medizin. Sie führt weiter aus, dass eine „neuere Fallstudie andeutet, dass lange Arbeitszeiten einen negativen oder aber zumindest keinen positiven Effekt auf die Produktivität haben“.
Statt auf mehr Arbeit zu setzen, gibt es bessere und verträglichere Hebel, um die Produktivität zu steigern. Zum Beispiel weitsichtigere Entscheidungen in den Führungsetagen der Unternehmen, bessere Arbeitsbedingungen und effizienteres Arbeiten auf allen Etagen. Ein Toyota-Werk in Göteborg führte bereits 2003 den 6-Stunden-Tag ein. Die Produktivität sank nicht, die Mitarbeiter waren zufriedener und gesünder.
Klar, ein 6-Stunden-Tag ist nicht in allen Unternehmen umsetzbar. Aber die Ergebnisse weisen darauf hin, dass Gesellschaft und Wirtschaft von einem gesünderen Verhältnis zur Berufsarbeit profitieren können.
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