Goethes berühmte Gretchenfrage lässt sich im laufenden Wahlkampf in vielen Varianten nutzen. „Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?“, will Gretchen von Faust wissen. „Nun sag, wie hast du’s mit der Industrie“, wäre angesichts zahlreicher kriselnder Großunternehmen und Branchen die naheliegende Frage an die Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitspolitiker unterschiedlicher Couleur.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil setzt hier in alter sozialdemokratischer Manier auf eine „aktive Wirtschafts- und Industriepolitik“, will also einen Staat, der zur Not eingreift, „wenn ein Unternehmen in eine prekäre Lage rutscht“. Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hingegen baue darauf, dass der Markt alles regle, sagt Heil – wohl wissend, dass ein möglicher Verlust von tausenden Arbeitsplätzen auch bei CDU/CSU ungeahnte Kreativität freisetzen würde.
„Wer für sich in Anspruch nimmt, das einzig wahre Rezept im Kampf um Industrien, Branchen und Arbeitsplätze zu haben, ist unseriös und gaukelt den Wählern eine nicht mehr existierende Welt vor.“
Letztendlich aber ist die moderne Gretchenfrage so leicht nicht zu beantworten. Dass der Staat nicht per se der bessere Unternehmer ist, steht außer Frage. Wenn aber der Markt durch den massiven Eingriff staatlicher Akteure wie China oder den USA aus den Fugen gerät, wäre es schlicht falsch, aus ideologischen Gründen an der reinen Lehre der Marktwirtschaft festzuhalten. Andererseits ist es illusorisch zu glauben, dass Deutschland mit ein paar Milliarden für die Stahl-, Auto- oder neuerdings auch Windkraftindustrie eine Chance gegen die aggressive Expansionspolitik Chinas hätte.
Kurz gesagt: Wer für sich in Anspruch nimmt, das einzig wahre Rezept im Kampf um Industrien, Branchen und Arbeitsplätze zu haben, ist unseriös und gaukelt den Wählern eine nicht mehr existierende Welt vor. Wenn überhaupt jemand, dann hätte lediglich ein gemeinschaftlich auftretendes und jenseits nationaler Interessen handelndes Europa eine winzig kleine Chance. Davon aber sind wir derzeit weit entfernt.