Das Ergebnis des ersten OM-Medien-Agrargipfels: Die Agrarregion muss systemisch denken
Wo steht der Agrarsektor im Oldenburger Münsterland im Jahr 2035? Die OM-Medien hatten Fachleute eingeladen, um den Transformationsweg zu diskutieren (Bildergalerie & Video).
Gleich sechs Fachleute blickten in ihren Vorträgen auf die Zukunft der Landwirtschaft im Oldenburger Münsterland: (von links) Dr. Andreas Werner, Dr. Ingo Stryck, Cord Schiplage, Moderator Georg Meyer, Professorin Dr. Nicole Kemper, Ulf Meyer und Felix Kalverkamp. Foto: M. Niehues
Der bislang prosperierenden Region durchaus kritisch einen Spiegel vorzuhalten, aber auch Wege aufzuzeigen, die zur Verstetigung des wirtschaftlichen Erfolges führen könnten – das war der Anspruch des „1. Forums Landwirtschaft“ der OM-Medien am Verlagssitz im Ecopark Emstek. Die ausverkaufte Veranstaltung widmete sich der Frage, was heute zu tun ist, damit das Oldenburger Münsterland auch 2035 noch im weltweiten Wettbewerb der Agrar- und Ernährungswirtschaft einen Spitzenplatz einnehmen kann. Dazu begaben sich Vertreter aus dem Agrarsektor sowie aus Politik und Wissenschaft in einen angeregten Diskurs.
Weitgehend einig waren sich alle Agrarfachleute über den zu beschreitenden Weg in die Zukunft des hiesigen, in Europa wohl einmaligen Agrarclusters. Er wird in einer (noch) engeren Verzahnung der Akteure vor Ort gesehen. Bestehende Strukturen gilt es unter Einbindung aller Akteure vor Ort künftig systemisch zu denken. Über die bloße wirtschaftlicher Partnerschaft hinaus erfordere ein neu zu denkendes System OM eine gemeinsame Zielgebung sowie Transparenz.
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OM-Medien-Chefredakteur Ulrich Suffner und Geschäftsführer Dr. Michael Plasse leiteten den von den Redakteuren Giorgio Tzimurtas und Georg Meyer moderierten Abend ein. „Lauter Umbrüche, wohin wir schauen“, sprach Suffner die globalen Krisen an. Deren Auswirkungen könne sich die Agrarwirtschaft in der Region längst nicht mehr entziehen. Als Journalisten wolle man mit dem Format des Agrargipfels bei der Transformation der hiesigen Landwirtschaft helfen, neues Denken anstoßen, „um auch in 10 Jahren noch erfolgreich zu sein“. Die Begleitung des Weges des hiesigen Agrarsektors in eine weiterhin erfolgreiche Zukunft sei dem Verlag eine „Herzensangelegenheit“, so Plasse.
Kein anderer Wirtschaftszweig ist im OM so wichtig wie der Agrarsektor
Kein anderer Wirtschaftszweig im Oldenburger Münsterland ist so prägend und wichtig wie der Landwirtschafts- und Ernährungssektor. Wie also die maßgebliche Grundlage des Wohlstandes in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta erhalten? Das beantwortete in seinem Impulsvortrag Norbert Lemken. Er stellte sich vor als „Agrarvisionär“ und Wochenendlandwirt, der unter andrem für die Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) gearbeitet hat. Er entwarf ein „Big Picture des Agrarsektors der Zukunft“, die er vor allem in einer neuen strategischen Ausrichtung des hiesigen Agrarbereichs sieht. „Wir brauchen längst mehr, als auf den bestehenden Schienen weiter zu fahren.“
Agrarvisionär: Norbert Lemken fordert für die Zukunft des Agrar- und Ernährungssektors im Oldenburger Münsterland eine neue Zusammenarbeit „ohne Scheuklappen“. Foto: M. Niehues
Der Experte will etwa mit technischen Innovationen und neuen Pflanzenzüchtungen oder der künftigen Regelhaftigkeit von Precision Farming mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) die Versorgung der Weltbevölkerung mit Proteinen sicherstellen. In Deutschland lebe man „wie die Made im Speck – so kann es nicht weitergehen“. Angesichts von Tierwohl- und Klimadiskussion sieht er in einer auch gesellschaftlich akzeptierten Kreislaufwirtschaft eine Lösung für aktuelle Probleme und Schritt in die Zukunft. Die neue Zusammenarbeit müsse man auch im OM im System sehen und „ohne Scheuklappen“ angehen. Für die Zukunft des hiesigen Agrarclusters zeigt sich Lemken zuversichtlich. Sein Rat: Die „Best Cases“ vor Ort zusammenbringen – und eine andere Landwirtschaftspolitik einfordern: „Es gibt dringenden Handlungsbedarf“, erklärte Lemken. „Die Politik muss aber nicht alles regeln, es genügen Leitplanken.“
Im weiteren Programm standen in der Folge gleich sechs Kurzvorträge, die von den Gästen des Abends besucht werden konnten. Die Zukunft der heimischen Agrar- und Ernährungswirtschaft zeigte sich dabei unter anderem in „Best Practices“ der wirtschaftlichen Akteure vor Ort, die diese in einer von Georg Meyer moderierten Runde vorstellten.
Unter der Überschrift „Versorgungssicherheit beginnt beim Landwirt – wie wir als Genossenschaft Verantwortung übernehmen“ sprach Cord Schiplage, Vorstand von „GS Die Genossenschaft eG“ (Schneiderkrug). Er stellte auf die stetig gewachsenen Abhängigkeiten der hiesigen Landwirtschaft und der Mischfutterindustrie von Importen ab. Besonders die Konzentration von Produktionsmacht in Asien müssten ein „Gegensteuern“ zur Folge haben. „Wir müssen das eine oder andere wieder zurückholen.“ So gebe es im Bereich der Produktion der wichtigen Aminosäuren in Europa mittlerweile nur noch einen Hersteller. Generell gelte für alle Erzeugerstufen: „Die Energie ist einfach zu teuer.“ Als Akteur im Agrarsektor mahnte Schiplage auch: „Um die Wertschöpfungskette vor Ort zu erhalten, dürfen wir keine Tiere mehr verlieren – sonst wird das hier bestehende System kollabieren.“
Dr. Ingo Stryck, Leiter Marketing der PHW-Gruppe (Marke Wiesenhof), gab in seinem Vortrag „Impulse für die Ernährung von morgen“. Der Konsum von Geflügelfleisch steige, deshalb seien auch mehr Ställe erforderlich. Es gebe einen nicht mehr aufzuhaltenden Verbrauchertrend vom Rotfleisch zum Weißfleisch. Er forderte mit Blick auf 2035 die Herstellung von Chancengleichheit im globalen Wettbewerb. Immer wichtiger würden „Hybridprodukte“ – also solche, in denen Fleisch mit pflanzenbasiertem Fleischersatz kombiniert werde. Der „Trend“ sei belegt durch eine höhere Produktvielfalt, die auch auf der kommenden Messe „Anuga“ zu sehen sein wird.
Dr. Andreas Werner von der Vechtaer Firma Bela-Pharm sprach über die „Arzneimittelsicherheit von Tierarzneimitteln in Europa“. Auch die Arzneihersteller in Europa hätten mit „steigenden Anforderungen“ zu kämpfen. Dennoch: Selbst in der Coronazeit sei die Verfügbarkeit gesichert gewesen. Er berichtete von einer gemeinsam von Behörden und Herstellern errichteten „offenen“ Datenbank, in der heute jeder nachprüfen könne, welcher Arzneiwirkstoff welche Nebenwirkungen habe. So zeigte er einen Schritt auf, der auch Teil eines künftigen „Agrarsystems OM“ sein könnte.
Das OM-Medien-Landwirtschaftsforum war ausverkauft. Die Gäste des Abends blieben auch nach dem offiziellen Schluss der Veranstaltung zum „Netzwerken“ beisammen und setzten damit sofort den Rat mehrerer Experten um. Foto: M. Niehues
Stallgenehmigungspraxis wird global und lokal höchst unterschiedlich ausgeübt
Über „Tierwohl made in OM – Weltmarkt-Lösungen für Amerika bis Australien sprachen Ulf Meyer, Entwicklungsvorstand der Big Dutchman AG, und Dr. Lina Sofie von Fricken (Strategische Unternehmensentwicklung). Die Vechtaer Stallspezialisten berichteten über die global und sogar lokal höchst unterschiedlichen Anforderungen in der Stallgenehmigungspraxis. Darauf habe man natürlich seine Technik abzustellen, aber manchmal sei es leichter, einen Stall in das Ausland zu verkaufen, als „in die verschiedenen Bundesländer“. Selbst lokal gebe es Unterschiede – sogar zwischen den Kreisen Cloppenburg und Vechta.
Werbung für das mit 25 Millionen Euro geförderte Projekt zur Zukunft der Agrar- und Ernährungswirtschaft in Niedersachsen „agri:change – Zukunft durch Wandel?“ machte Professorin Dr. Nicole Kemper von der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Das Projekt verfolge einen ausgesprochenen Praxisansatz. Deshalb lud sie anwesende Akteure in der Agrarwirtschaft zum Mitmachen ein. Im Projekt gehe es darum, Felder auszumachen, die man in den kommenden 5 Jahren wissenschaftlich aufarbeiten könne, um sie danach unmittelbar in die praktische Anwendung zu überführen.
Maschinenbauingenieur Felix Kalverkamp, Geschäftsführer der Firma Nexat (Niedersachsenpark Neuenkirchen-Vörden), stellte seine selbst entwickelte Lösung für die großflächige Landwirtschaft vor. Das – zunächst für die Getreideernte konzipierte – Wechselträgerfahrzeug ist 14 Meter breit. Es trägt die Bearbeitungsmaschinen über das Feld, und zieht sie nicht. Lediglich über die Fahrspuren wird der Boden verdichtet, der unter dem Fahrzeug liegende Bearbeitungsbereich wird nicht befahren. Folge: Bessere Ausnutzung der Fläche des Ackers und hohe Bodengesundheit. Mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit der europäischen Landmaschinentechnik-Hersteller sieht er als Problem den „überzogenen Datenschutz und die Null-Fehler-Vorgabe bei der Einführung des autonomen Fahrens“.
Podiumsdiskussion: Links die hiesige CDU-Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium, Silvia Breher, die zuvor im Interview über die Pläne der Bundesregierung im Bereich der Landwirtschaft berichtet hatte. Weiter im Bild von links: Norbert Lemken, Emilie Bourgoin, Dr, Barbara Grabkowsky, Joseph kleine Holthaus mit Co-Moderator Georg Meyer Foto: M. Niehues
Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium und hiesige Bundestagsabgeordnete, Silvia Breher (CDU), berichtete im Interview mit Giorgio Tzimurtas über die neuen Entwicklungen in Berlin. Man arbeite derzeit an einer Novelle des Tierhaltungskennzeichengesetzes. Dahinter steckt das Bemühen, die Tierwohldebatte und die daraus längst im Handel etablierten Haltungsstufen-Label zusammenzuführen.
Generell gelte: „Wir müssen in Deutschland zurück auf die europäischen Standards.“ Das stete Aufsatteln weiter gehender Regelungen durch die deutsche und europäische Politik müsse ein Ende haben, auch um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Agrarwirtschaft wieder herzustellen. Die „Addition der vielen Kleinigkeiten belastet uns“.
In einer Podiumsrunde mit dem Titel „OM 2035 – Wie kann wirtschaftlicher Erfolg gelingen?“ trafen dann Lemken und Breher mit Dr. Barbara Grabkowsky (Leitung trafo:agrar Niedersachsen), Emilie Bourgoin vom Public-Affairs-Bereich der Rewe Group und die Landwirte Joseph kleine Holthaus (Steinfeld, stellvertretender Vorsitzender des Kreislandvolkes Vechta) sowie Milchbauer Ottmar Ilchmann (Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Niedersachsen/Bremen) zusammen.
Milchbauer Ottmar Ilchmann (rechts) forderte im Gespräch mit Giorgio Tzimurtas für die Landwirte mehr Verlässlichkeit der Politik. Die kurzfristigen politischen Entscheidungen berücksichtigten nicht den langfristigen Investitionshorizont der Landwirte. Foto: M. Niehues
Während Holthaus dafür plädierte „mehr Vielfalt auf den Hof zu bringen“, damit den Landwirten auch künftig ein Einkommen garantiert sei, wollte Ilchmann „Verlässlichkeit von der Politik“, damit die Investitionen der Bauern rentierlich werden. Die anhaltende Unsicherheit, welche Rahmenbedingungen die Politik setze, würden zu einem „Abwarten“ der Landwirte führen, kritisierte Holthaus. Er verlangte zudem das „Aufstellen von Leitplanken“ durch die Politik.
Emilie Bourgoin, Rewe Group, berichtete von langfristigen Drei-Parteien-Verträgen ihres Unternehmens. Diese seien ein einmaliges Konstrukt, denn man bringe Erzeuger, Verarbeiter und Handel an einen Tisch, um für alle Seiten mehr Transparenz und Planungssicherheit zu schaffen – und um die heimische Landwirtschaft zu stärken. Als genossenschaftlich geprägtes Unternehmen sei die Rewe Group zudem tief im Umfeld ihrer Märkte verwurzelt. „Dies spiegelt sich auch in unseren Sortimenten wider. Deshalb setzen wir auf Regionalität und Lokalität. Dabei sind wir aber darauf angewiesen, dass es auch in Zukunft weiterhin Höfe im Umfeld unserer Märkte gibt.“
Wissenschaftlerin Grabkowsky stellt ihr „Burgermodell“ vor
Grabkowsky forderte die Agrarwirtschaft im OM auf, künftig „im System zu denken“, nicht nur an einzelnen Stellschrauben zu drehen. Sie stellte das „Burgermodell“ als neues Nachhaltigkeitsmodell vor. Alle Akteure müssten dazu beitragen, „Zielwissen zu gewinnen. Wohin wollen wir eigentlich?“ Dazu müsse man herausfinden: „Wie tickt eigentlich das System vor Ort“, um schließlich daraus die notwendigen Transformationsschritte abzuleiten.
Die Wissenschaftlerin will die „Kraft der Region bündeln“, stärker netzwerken. Den Aufschlag dazu habe jetzt das OM-Forum Landwirtschaft gemacht, lobte sie. „Wir brauchen einen common sense darüber, wie wir künftig Lebensmittel produzieren wollen.“
Das OM-Forum Landwirtschaft wurde unterstützt von:
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