In Berlin hat die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, zur Zeit Verkehrssenatorin, über Nacht die bekannte Friedrichstraße für den Autoverkehr sperren lassen. Sie solle eine Flaniermeile werden, eine genaue Planung komme später, ließ sie verkünden.
Ein erster Versuch der Verkehrsberuhigung mit einer Fahrradroute war gescheitert, weil er stümperhaft umgesetzt worden war. Die Fußgänger litten unter rasenden Radlern, die Geschäfte unter ausbleibender Kundschaft, und weil auch die formale Begründung zu wünschen ließ, erlaubte ein Gericht den Autoverkehr wieder.
Dass ihre Politik Chancen für ein nachhaltigeres Leben und Wirtschaften eröffnet, geht zu häufig unter
Jetzt die trotzige Reaktion der Grünen-Politikern. Vielleicht wollte Jarasch ihrem Anhang kurz vor der Berliner Wiederholungswahl an diesem Wochenende auch zeigen, wie konsequent sie in Sachen Verkehrswende handelt. Der Fall ist nicht untypisch. Zwar werden auch die meisten Berliner dem Ziel zustimmen, aus der schönen Friedrichstraße mehr zu machen als einen besseren Großparkplatz für Autos, die nicht vorankommen. Aber so geht es nun auch nicht. Was die Grünen-Politikerin hier durchgezogen hat, ist Politik nach Gutsfrauenart. Von ganz oben herab. Die Kritik daran ist groß. Dabei müssten Grüne ihre Politik eigentlich mehr erklären als andere. Denn anders als Christ- und Sozialdemokraten, die in der Regel Wohltaten verteilen, wollen sie die Dinge grundlegend verändern – Energiewende, Verkehrswende, Agrarwende. Sie greifen damit in bisherige Gewohnheiten der Menschen ein. Das verlangt viel Kommunikation bei jedem noch so kleinen Schritt. Daran aber fehlt es den Grünen erheblich, nicht nur in den Ländern, sondern auch im Bund. Sie wirken oft arrogant, gar als „Verbotspartei“.
Dass ihre Politik Chancen für ein nachhaltigeres Leben und Wirtschaften eröffnet, geht zu häufig unter. Ein Grund ist vielleicht, dass sich viele ihrer Politiker in einer grünen Blase bewegen, in der die Veränderungen als selbstverständlich, ja längst überfällig gelten. Die Leute draußen aber haben ganz andere Realitäten. Klar, für ökologische Politik wird man die Klimaleugner und die Ideologen eines fortgesetzten hemmungslosen Konsums nie gewinnen können. Aber bei allen anderen muss man immer wieder um Zustimmung werben. Das ist mühselig, aber wenn es nicht wenigstens versucht wird, wie gerade in Berlin, dann wird die ganze Ökodebatte, die in ihrem vollen Ausmaß ja auch die alten Volksparteien noch erfassen wird, sehr unerquicklich werden.
Zur Person:
- Der Lohner Werner Kolhoff, 66, hat für den Berliner Tagesspiegel und die Berliner Zeitung gearbeitet, war Sprecher des Berliner Senats und leitete ein Korrespondentenbüro.
- Heute ist er in der Hauptstadt als politischer Kolumnist tätig.
- Den Autor erreichen Sie unter redaktion@om-medien.de.