Wenn der Lenz zum Leasing lockt

„Ich fahr’ so gerne Rad“, sang Peter Petrel einst. Ich will diesen Refrain nicht für mich beanspruchen. Mir sind vier Reifen auf Alufelgen und Carlo von Tiedemann in meinem Schlagerradio genug. Balanceakte auf zwei Rädern habe ich mir abgewöhnt, nachdem mein bis heute letztes Rad mir vor knapp 20 Jahren geklaut wurde.

Doch dann, alljährlich, wenn der Frühling naht, reizt es mich doch wieder. Zu verlockend erscheinen all die Leasing-Angebote, mit denen man zum Preis einer Tankfüllung an ein schickes Zweirad kommen könnte. Doch will ich ein E-Bike, einen Stromer? Nein, weder auf zwei, noch auf vier Rädern. Wenn, dann käme einzig das klassische Hollandrad infrage, auf dem ich grazil wie eine Gazelle durch Cloppenburg gleiten würde. Doch ich bin mir sicher, dass es nicht mehr als drei Hofeinfahrten bräuchte, bis mir aus einer davon ein Schäferhund hinterher gepfiffen käme, um mir die Vorzüge eines E-Bikes vor Augen zu führen.

Was mir natürlich auch lässig zu Gesicht stehen würde, wäre das wohl trendigste Fortbewegungsmittel dieser Tage: der E-Scooter (altdeutsch: Roller). Wie ein Rennfahrer in seinen Overall steigt, bedarf’s für den Scooter aber auch einer Art Uniform. Eine Jogginghose gehört ebenso dazu wie ein schneeweißer Hoodie (altdeutsch: Kapuzenpullover), darüber eine schwarze „The North Face“-Daunenjacke und korrespondierend weiße Runners oder Sneakers (altdeutsch: Turnschuhe).

„Nun bewege ich mich als Segelschuhträger und Hemdenbügler auch nicht zwangsläufig auf der wilden Seite des Lebens, aber wenn ich dran denke, dass Männer früher Motorrad fuhren …: schwierig.“

Die Tage durfte ich auf dem Supermarkt-Parkplatz der Unterredung zweier E-Scooter-Grazien lauschen. Während die eine erklärte „Isch kauf Cola nur noch Zero, weil sonst brauch’ isch nisch’ ins Gym (altdeutsch: öffentlicher Platz für Leibesübungen) gehen“, ließ ihre Beste wissen: „Isch fahr jetzt zu Ayleen. Isch krieg’ den Kopf gemacht.“ Mir war schnell klar, dass der auch wirklich nur ein Provisorium sein konnte.

Apropos: Komplettiert wird der E-Scooter-Look durch strähnig-glattes, schulterlanges Haupthaar bei Damen beziehungsweise einen keck-lockigen Brokkoli-Schnitt bei den Herren. Beide Optionen müsste ich ob hoher Stirn mal mit meinem Barbier erörtern.

Dazu drückt man sich noch weiße In-Ears (altdeutsch: Kopfhörer) in die Ears, also in die Ohren und setzt einen gelangweilt überlegenen, in die Ferne schweifenden Blick auf. Der Sportler würde sagen: „Ich bin im Tunnel.“ Der E-Scooter-Fahrer sagt: „Isch bin in die Pubertät, Alter.“

Mit Regenjacke und Kermit-Helm geht's auf die Piste

Stichwort Alter: Alternativer Look für erwachsene E-Scooter-Fahrer: „Jack Wolfskin“-Regenjacke in lebensbejahendem Hornhaut-Umbra, darüber ein Rucksack, um die Butterbrotdose sicher ins Großraumbüro zu bringen, dazu einen glänzenden Schutzhelm in Kermit-Grün (altdeutsch: Froschgrün). So reist der junge Familienvater heute als Sozialversicherungsfachangestellter an. Nun bewege ich mich als Segelschuhträger und Hemdenbügler auch nicht zwangsläufig auf der wilden Seite des Lebens, aber wenn ich dran denke, dass Männer früher Motorrad fuhren …: schwierig.

Ich glaube, ich muss „Frühlingsgefühle“ und Kauflust unterdrücken und darauf vertrauen, spätestens im Hochsommer zu wissen, was eine Klimaautomatik auf vier Rädern wert ist. Lieber mit Carlo im Auto, als mit Kermit auf’m Scooter!

Zur Person:

Heiko Bosse ist Mitglied der Chefredaktion der OM-Medien
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