Die Temperaturen sinken und damit auch ein wenig die Bereitschaft fürs Sporttreiben. Aber neben dem Fußballtraining braucht es schon noch eine andere Aktivität, die mal so richtig Sauerstoff in die Zellen pumpt. Laufen an der frischen Luft? Puh, wird langsam kalt (und ist auch extrem langweilig). Fitnessstudio? Zu überfüllt, zumindest glaube ich das, von innen gesehen hab’ ich schon lange keins mehr. Was bleibt da noch? Na klar, die Home-Workouts.
Sie hatten ihre Hochkonjunktur während der Corona-Pandemie, als Leute registriert haben, dass man den Körper auch trotz des gesellschaftlichen Ausnahmezustands vielleicht nicht unbedingt verrotten lassen sollte. Es ist zudem genau das Richtige für Personen, die sich einfach mal gerne im eigenen Wohnzimmer von einem Fremden anschreien lassen wollen.
Body Positivity oder extremer Muskelaufbau
Das Angebot ist jedenfalls reichhaltig. Es gibt ganz sanfte „Body Positivity“-Workouts, aber auch solche, die wie ein Aufnahmeritual der französischen Fremdenlegion anmuten. Da ist dann gerne mal von „MUSKELAUFBAU EXTREM“ die Rede. Und ja, was soll ich sagen, genau da klicke ich rein.
Der Fitness-Instructor wechselt in seiner Ansprache wahlweise von Kuschelkurs bis hin zu martialischen Kampfansagen. Ob er wohl die Aussage „Wir ziehen in den Krieg“, die er mir während einer Rückenübung entgegenschleudert, angesichts der aktuellen Weltlage etwas bereut? Zeit, darüber nachzudenken, habe ich nicht. Denn während ich mich gehorsam in den Liegestütz begebe, dröhnt die nächste Wort-Salve aus dem Fernseher: „Wir zerstören jetzt die gesamte Brust“, ruft der Coach hinein und behält damit leider auch recht.
„Um meinen Nachbarn nicht auf die Palme zu bringen, versuche ich stoßdämpfend zu landen.“
Für die Beinmuskulatur (warum trainiere ich die eigentlich als Fußballer?) werden Sprünge verschiedener Art angesagt. Um meinen Nachbarn hier nicht auf die Palme zu bringen, versuche ich möglichst stoßdämpfend zu landen. Die barmherzige Art der Ausführung schlägt sich zwar positiv auf den Geräuschpegel nieder, sorgt jedoch dafür, dass die Waden und Oberschenkel noch mehr brennen. Aber dafür hat man wohl das Extrempaket auch gebucht.
Danach switcht der Coach wieder in sein sanftes Gemüt: „Seid zufrieden mit eurem Körper, aber gebt euch nicht zufrieden mit eurem Körper“. Bevor ich den Inhalt dieses klugen Zitats entschlüsselt habe, sind schon die Bauchmuskeln dran. Ich erfahre, dass die seitlichen Partien von vielen vergessen werden. Und nach 30 Sekunden stelle ich fest, dass ich da wohl keine Ausnahme bin.
Die Nachbarn sollen ruhig teilhaben
Eigentlich könnte ich jetzt auch entspannt auf dem Sofa liegen, sinniere ich, während ich den „Starfish Hold“ praktiziere. Zuvor standen noch Bizeps- und Trizeps-Übungen auf dem Programm. Die Rollläden lasse ich übrigens während der etwa 45-minütigen Prozedur geöffnet. Die Nachbarn sollen ruhig an meinem Leidensprozess teilhaben – und eingreifen können, wenn's zu ungesund wird.
Nach dem Ende der Einheit kehrt der Zustand erschöpfter Befriedigung ein. Kurz duschen und dann ab aufs Sofa – aber ganz bestimmt nicht im „Starfish Hold“.
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