OM-Zukunftsmacherin 2024: Amira Hasso flüchtete aus dem Irak – und unterstützt heute Migranten
Am 23. Mai wird in Emstek die dritte OM-Zukunftsmacherin gekürt. Mehr als 120 starke Frauen werden zur Preisverleihung eingeladen. Eine von ihnen ist Amira Hasso, Caritas-Referentin für Integration.
Vor ihrem Arbeitsort: Amira Hasso (39) ist Referentin für Integration und Migration beim Landescaritasverband und arbeitet im Haus der Caritas in Vechta. Foto: Oblau
Ein bunter Haarreif – das ist das Erste, was Amira Hasso einfällt, wenn sie an die Geschichte ihrer Flucht denkt. Als sie 5 Jahre alt ist, beschließen ihre Eltern, ihr Heimatland, den Irak, zu verlassen. Es ist 1990, irakische Truppen sind gerade auf Befehl von Machthaber Saddam Hussein ins Nachbarland Kuweit einmarschiert. Für Amira Hasso bedeutet das: Sie muss in einem fremden Land, in Deutschland, neu anfangen. Ohne Sprachkenntnisse – und ohne ihren Haarreif. Den hat sie nämlich zurückgelassen und muss noch heute oft daran denken.
„Mein Vater wollte durch unsere Flucht vor allem verhindern, dass meine älteren Brüder zum Kriegsdienst eingezogen werden“, sagt Amira Hasso. „Auf einmal hieß es: ,Wir fahren jetzt weg.' Als Kind war mir die Tragweite dieser Aussage gar nicht bewusst“, erinnert sie sich, „mir war nicht klar, dass das bedeutet: für immer, wir kommen nicht wieder“. Als sie sich kurz vor der Abfahrt von ihrer Tante verabschiedet, trägt sie einen bunten Haarreif, der ein Geschenk ihres Vaters war. „Meine Tante sagte mir, den würde man mir in dem neuen Land bestimmt wegnehmen“, erinnert sie sich. Also lässt sie den Haarreif zurück, auf einer Fensterbank. Noch heute ist diese Erinnerung das persönliche Symbol ihrer Flucht aus dem Irak.
Die Eltern machen sich mit drei Kindern auf den Weg, zuerst geht es nach Syrien. Unterwegs wird das vierte Kind geboren. Zusammen mit einer anderen Familie sei man losgefahren, sagt Amira Hasso. Diese Familie habe Verwandte in Deutschland gehabt, und so sei auch ihre Familie nach Deutschland gekommen. „Wir waren zuerst in einem Wohnheim in Hamburg, dann wurden wir nach Uelzen weiterverteilt“, berichtet die heute 39-Jährige.
Ihr Bruder habe nach 3 Schuljahren im Irak in Deutschland in der ersten Klasse neu anfangen müssen. Dass ihre eigene Einschulung nicht zur traurigen Erinnerung geworden ist, hat sie ihrer Vorschullehrerin zu verdanken, die sich sehr um die Integration des Mädchens gekümmert habe: „Sie hat mich am ersten Schultag zur Schule gefahren – und plötzlich sah ich, dass alle anderen Kinder eine Zuckertüte hatten. Meine Eltern kannten diese Tradition natürlich gar nicht und ich hatte schon befürchtet, als einziges Kind am ersten Schultag ohne Schultüte dazustehen“, sagt Amira Hasso. Dann aber habe die Vorschullehrerin eine Zuckertüte aus dem Kofferraum geholt und ihr überreicht. Der erste Schultag ist gerettet. Auch von den Nachbarn in Uelzen sei die Familie sehr nett aufgenommen worden: „Diese Gastfreundschaft hat mich beeindruckt, uns haben sehr viele Menschen geholfen“, bilanziert Hasso.
Als es später um die richtige Wahl der weiterführenden Schule geht, habe sie trotz guter Noten auf die Realschule gehen wollen, sagt Amira Hasso: „Als meine damalige Lehrerin meinte, ich würde auf jeden Fall auch das Gymnasium schaffen, war ich mir nicht so sicher“. An sich klappt der Schulwechsel aber gut, dennoch bricht sie das Gymnasium zunächst ab, heiratet früh, zieht nach Vechta und gründet ihre eigene Familie. Die Söhne sind heute 15 und 19. „Ich habe mein Abitur 2016 aber nachgeholt und anschließend an der Universität Soziale Arbeit studiert“, schildert die zweifache Mutter.
Nachdem sie ihr Abitur nachgeholt hatte, studiere Amira Hasse Soziale Arbeit in Vechta. Foto: Oblau
Schon während des Studiums arbeitet sie mit Flüchtlingen, teils ehrenamtlich, teils auf Honorarbasis. „Ich habe schnell gemerkt, dass das genau mein Ding ist und ich Menschen, die neu in Deutschland sind, gut unterstützen kann, weil ich mich durch meine eigene Lebensgeschichte in ihre Lage hineinversetzen kann“, sagt die Vechtaerin. So gibt sie an der Volkshochschule einen Kursus „Deutsch für Schichtarbeiter“, bildet sich zur Integrationslotsin fort und arbeitet zunächst als Schulsozialarbeiterin. Seit 2021 ist Amira Hasso nun Referentin für Integration und Migration beim Landescaritasverband und hat ihr Büro im Haus der Caritas in Vechta. Ihre berufliche Aufgabe ist dabei auch ein persönliches Herzensprojekt.
„Integration heißt, dass beide Seiten sich kennenlernen."
Amira Hasso
„Bisher habe ich Migranten beraten, in meiner neuen Position als Referentin habe ich auch Kontakt in die Politik und hoffe so, noch mehr für die Integration von Migranten erreichen zu können“, sagt Amira Hasso. Ihr gehe es vor allem darum, beide Seiten im Blick zu haben. „Integration heißt ja, dass beide Seiten sich kennenlernen. Deswegen sage ich zu Deutschen sehr oft: Zeigt eure Kultur, zeigt, wie ihr lebt. Und Migranten sage ich: Man kann immer und überall bei Null anfangen, es ist nie zu spät. Deutschland ist ein Land der vielen Möglichkeiten – wenn alle Seiten sich öffnen.“ Dass sie als Jesidin bei der Caritas nun auch für den SkM, den Sozialdienst katholischer Männer, mit zuständig sei, zeige, dass Integration funktioniere und nicht vom Geburtsland oder vom Glauben abhänge – oder vom Geschlecht. „Man kann Frauen auch stärken, indem man ihre Männer stärkt“, findet sie.
Die gesellschaftliche Stimmung empfinde sie schon derzeit manchmal als schwierig, irgendwie festgefahren, insbesondere seit das Treffen rechter Funktionäre in Potsdam und die Inhalte dieser Besprechung öffentlich wurden: „Als meine Söhne mich da fragten, ob wir dann auch weg müssten aus Deutschland, wurde mir erstmal bewusst, dass uns diese Pläne, die dort geäußert wurden, auch sehr konkret betreffen würden.“
Ihr größter Wunsch in der aktuellen Debatte? „Dass wir in der Gesellschaft den Begriff Migrant wieder sehr viel breiter wahrnehmen. Migranten, das sind nicht nur die neu ankommenden Flüchtlinge, das sind nicht nur Menschen, die hier die Hand aufhalten und von Steuergeldern leben. Migranten, das sind inzwischen so viele Menschen, die teils in zweiter oder sogar dritter Generation hier leben, arbeiten und die Gesellschaft mitprägen. Was das angeht, empfinde ich das gesellschaftliche Stimmungsbild gerade oftmals als ziemlich schief. Vielleicht müssen die vielen Positivbeispiele, die eine Bereicherung für dieses Land sind, einfach sichtbarer werden, damit nicht die wenigen, die sich hier nicht benehmen, die Schlagzeilen bestimmen", fasst Amira Hasso zusammen.
Hintergrund:
Die OM-Medien zeichnen 2024 zum dritten Mal eine Entscheiderin aus dem Oldenburger Münsterland, die in besonderer Weise die gesellschaftliche Entwicklung vorantreibt, mit dem Award „OM-Zukunftsmacherin“ aus.
Unterstützt wird das Projekt OM-Zukunftsmacherin dabei von den Firmen Südbeck, Pöppelmann, Grimme, Bergmann, Wernsing, Zerhusen und der LzO.
Gekürt wird die Preisträgerin von einer Jury. Ihr gehören Silvia Breher (CDU-Bundestagsabgeordnete, Lindern), Christine Grimme (Grimme Gruppe, Damme), Tanja Sprehe (Bereichsleiterin Marketing & Innovation, Pöppelmann, Lohne), Dr. Jutta Middendorf-Bergmann (Ludwig Bergmann GmbH, Goldenstedt) und Annette Vetter (Leiterin Bereich Personal, Landessparkasse zu Oldenburg) an. Für OM-Medien ist die stellvertretende Chefredakteurin Anke Hibbeler dabei.
Die Auszeichnung findet am 23. Mai im OM-Medienhaus in Emstek statt. 2022 vergab unsere Jury den Award an Sarah Dhem aus Lastrup; 2023 an Marion Schouten aus Cloppenburg.
Alles zur Vorgeschichte, zur Jury und zu Vernetzungsmöglichkeiten finden Sie hier.
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