Das Bistum Münster hat am Donnerstag ein Gutachten veröffentlicht, in dem die Vorwürfe von „Ritueller Gewalt“ seitens katholischer Amtsträger untersucht wurden. Das Ergebnis: „Im Blick auf die untersuchten Fälle spricht nichts dafür, dass die Beschuldigten die ihnen vorgeworfenen Taten Ritueller Gewalt begangen haben könnten.“ Bei der Untersuchung, die im April 2024 in Auftrag gegeben wurde, habe es „keinen einzigen belastbaren Hinweis“ gegeben, der auf „organisierte Täternetzwerke“ hindeuten würde.
Zur Erklärung: Mit dem Begriff „Rituelle Gewalt“ wird eine Theorie beschrieben, die auf diesen Aspekten beruht:
- Es gibt Täternetzwerke mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität, deren Mitglieder schwerste Gewalttaten verüben und bei den Betroffenen gezielt für Persönlichkeitsspaltungen sorgen.
- Die Mitglieder der Täternetzwerke kontrollieren, steuern und „programmieren“ die Betroffenen
- Die Betroffenen haben massive psychische Probleme
- Die Betroffenen haben im Alltag keine Erinnerungen an das ihnen Widerfahrene
- Erinnerungen werden bei den Betroffenen erst in bestimmten Therapien wieder geweckt
Der Auslöser dieses Gutachtens liegt bereits einige Jahre zurück. Im Juni 2022 wurde eine Studie der Universität Münster veröffentlicht, die zeigte, dass die Zahl der Opfer von sexuellem Missbrauch im Bistum Münster weitaus höher lag, als zu diesem Zeitpunkt bekannt war. In der Folge erhoben „rund ein Dutzend“ Opfer – so heißt es in der Stellungnahme am Donnerstag – die Vorwürfe, dass es in den Bistümern Münster und Essen sowie dem Erzbistum Köln ein Täternetzwerk bestehend aus einfachen Priestern sowie inzwischen verstorbener Erzbischöfen, Bischöfen und Kardinälen gegeben habe. Deshalb beauftragten diese drei Bistümer die Kölner Kanzlei „Feigen Graf“ mit einer Untersuchung dieser Vorwürfe.
Bei den Vorwürfen ging es um schwerste Straftaten
Dabei bleibe unstrittig, dass den Opfern tatsächlich sexuelle Gewalt und Leid widerfahren ist, wie sie unter anderem in der Missbrauchsstudie der Universität Münster aufgearbeitet wurden. Bei der Untersuchung wurde lediglich überprüft, ob tatsächlich ein Netzwerk von mehreren Personen schwerste Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Leib und Leben verübt haben soll. Demnach reichten die Vorwürfe von Vergewaltigungen über erzwungene Schwangerschaftsabbrüche bis hin zu Tötungsdelikten.
Das Bistum Münster teilt nun mit, dass während der Untersuchung festgestellt wurde, dass in allen „Betroffenenaussagen das vollständige Fehlen konkreter objektiver Nachweise“ festgestellt wurde. Eine mögliche Erklärung, warum die Opfer diese schwerwiegenden Vorwürfe erheben, seien „suggestive Einflüsse von außen, insbesondere im Therapiekontext“. In diesen Therapien werde teilweise die Theorie der „Rituellen Gewalt“ verfolgt. Die Kanzlei „Feigen Graf“ käme nun zu dem Schluss, diese Theorie sei „eine nur scheinbare Erklärung, die den Betroffenen einen Ausweg aus Trauma und Hilflosigkeit vorspiegelt und ihre Lage aus unserer Sicht erheblich verschlimmert hat“.
Bei dieser Einschätzung stützt sich die Kanzlei auf ein aussagepsychologisches Gutachten. Die Fachpsychologinnen für Rechtspsychologie, Prof. Dr. Silvia Gubi-Kelm und Dr. Petra Wolf, hätten festgestellt, „dass in den vorliegenden Fällen [...] die Schilderungen auf Scheinerinnerungen basieren“. Das Fazit der Psychologinnen: „Die jeweiligen Aussagegenesen sind geradezu prototypisch für die Entstehung und Entwicklung von falschen autobiografischen Erinnerungen.“
Studie kritisiert Arbeit der Beratungsstelle und des Arbeitskreises
In diesem Zusammenhang kritisiere die Kölner Kanzlei die Arbeit der früheren „Beratungsstelle Organisierte sexuelle und rituelle Gewalt“ sowie den „Arbeitskreis Rituelle Gewalt“ im Bistum Münster. Die Schließung der Beratungsstelle in Münster im März 2023, deren Mitarbeiterinnen Anhängerinnen der Rituellen-Gewalt-Theorie waren, war – so betont der Bericht – richtig, sie sei aber aus heutiger Sicht deutlich zu spät erfolgt. Die Begründung der Kanzlei: „Auch die Arbeit der Beratungsstelle habe ihren Anteil daran, dass die Betroffenen sich immer tiefer in die Suche nach Erinnerungen verstrickt haben“, heißt es seitens des Bistums Münster am Donnerstag.
„Wir veröffentlichen den Untersuchungsbericht zur Rituellen Gewalt, um für Transparenz bei dem Thema zu sorgen und um Betroffene künftig besser zu schützen“, sagt Dr. Klaus Winterkamp, Ständiger Vertreter des Diözesanadministrators im Bistum Münster, am Donnerstag. Er sei „den Menschen, die die Vorwürfe in unserem Bistum erhoben haben, sehr dankbar, dass sie trotz ihrer immensen persönlichen Belastungen gesprächsbereit waren und die Untersuchung so ermöglicht“ hätten. Winterkamp betonte, dass diese Menschen das glauben, was sie berichten: „Wir haben keine Veranlassung, ihnen unlautere Absichten zu unterstellen.“
Als Konsequenz dieser Studie haben die Bistümer Münster und Essen sowie das Erzbistum Köln entschieden, für die Betroffenen zwar weiterhin die Therapiekosten zu übernehmen – aber nur unter der Voraussetzung, dass der Therapeut oder die Therapeutin nicht die Rituelle-Gewalt-Theorie vertreten darf.