Ich und all meine Augen
Kolumne: Das Leben als Ernstfall – Wenn der Alltag schlaucht, können Hobbys helfen. Viel einfacher ist es jedoch, die Perspektive zu wechseln.
Ella Wenzel | 30.07.2025
Kolumne: Das Leben als Ernstfall – Wenn der Alltag schlaucht, können Hobbys helfen. Viel einfacher ist es jedoch, die Perspektive zu wechseln.
Ella Wenzel | 30.07.2025
Es ist so leicht, sich vom Alltag langweilen zu lassen. Schließlich sehe ich jeden Tag dieselben Menschen, gehe dieselben Wege und esse dieselben Dinge. Viel Platz für große Emotionen ist da nicht. Sind sie das etwa, die wilden 20er, von denen immer alle reden? Immer wieder finde ich mich am Scheideweg zwischen Routine und Ausbrechen. Wie sonst soll man nicht der Monotonie verfallen? Meist ist die Antwort dieselbe: Such’ dir halt Hobbys. Das ist aber leichter gesagt, als getan. Denn mit niemandem habe ich eine so starke On-off-Beziehung wie mit Hobbys. Es ist immer derselbe Prozess. Ich fange etwas Neues an, um Spaß zu haben, abzuschalten und ja, auch eine Identität aufzubauen, die nichts mit meinem Beruf zu tun hat. Aber im Endeffekt habe ich jetzt mehr Stress als vorher und muss meine neue Freizeitbeschäftigung in meine Woche stopfen und hoffen, dass ich genug Zeit eingeplant habe, um beim Backen auch tatsächlich zu entspannen. Dabei ist es ganz leicht. Keine großen Hobbys, keine spontanen Experimente: keep it simple. Ich romantisiere mein Leben. Was nun auch als Trend in den Sozialen Medien kursiert, habe ich schon längst perfektioniert. Sieht die Welt trist und eintönig aus, wechsel' ich die Augen. Nein, ich mache mir nicht denselben Kaffee, den ich jeden Morgen trinke. Ich genieße mein Heißgetränk am Fenster und beobachte, wie die Welt aufwacht. Reicht es nicht, ich zu sein, wechsle ich die Perspektive. Nicht ich trinke den Kaffee, sondern eine Frau aus einem Roman, die gleich zu einer Kutschreise aufbricht, die ihr Leben verändern wird. Es ist komisch, aber es wirkt. „Worauf es immer wieder hinausläuft: Als Kind wusste ich etwas über das Leben, das ich als Erwachsener vergessen habe.“ Denn mit jedem Mal baue ich einen neuen Verbindungsstrang zur Welt auf. So begebe ich mich zwar jeden Tag auf denselben Spaziergang, sehe die Welt aber in so vielen neuen Lichtern, dass mich die Vielschichtigkeit meines Lebens förmlich blendet. Plötzlich stört es mich nicht mehr, dass ich schon wieder in derselben Straße meine Runden drehe. Stattdessen schaue ich auf die Würmer am Wegesrand, die Insekten im Spinnennetz, die Anzahl der roten Autos, die die Straßen reihen. Ich sehe, wie das Regenwasser im Gulli verschwindet, wie ein Wasserfall, den nur ich erkenne. Es öffnen sich so viele Augen, dass ich nicht mehr weiß, wohin mit den Blicken. Worauf es immer wieder hinausläuft: Als Kind wusste ich etwas über das Leben, das ich als Erwachsener vergessen habe. Ich erinnere mich noch daran, wie groß meine Welt auf einmal wirkte, als ich endlich Fahrrad fahren konnte. Statt meiner Straße stand mir die ganze Siedlung zur Verfügung. Irgendwann die ganze Gemeinde, dann die Welt. Aber noch wichtiger: Ich wurde von einer Entdeckerlust getrieben, der ich noch heute nachjage. Eine Entdeckerlust, die dafür sorgte, dass selbst die Langeweile nicht langweilig wurde. Komme ich der nun einen kleinen Schritt näher, indem ich mir beim Kaffeetrinken vorstelle, ich würde ein Gewandt aus der Barockzeit tragen, ist das okay. Andere sammeln Briefmarken. Was das Ganze nun über meine Identität aussagt, weiß ich noch nicht. So werde ich, wenn mich mal jemand beim Spazieren erwischt und fragt, wer ich bin, besser nicht sagen „Also jetzt gerade ein Pirat, generell aber ein Mosaik von allen Menschen, die ich je getroffen hab und allen Dingen, die ich je gelernt hab. Und du?“. Ich hab da so ein Gefühl, dass das nicht gut ankommt. In solchen Situationen lege ich den Fokus dann einfach darauf, dass ich manchmal gerne Fahrrad fahre.Zur Person:
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