Gurgeln soll Corona-Viren in Schach halten
Vechtaer Ärzte plädieren dafür, sich mit Mundwasser zu schützen, bis Impfen möglich ist. Die Viruslast, die zu einer Infektion führe, könne so gedämmt werden.
Matthias Niehues | 26.08.2020
Vechtaer Ärzte plädieren dafür, sich mit Mundwasser zu schützen, bis Impfen möglich ist. Die Viruslast, die zu einer Infektion führe, könne so gedämmt werden.
Matthias Niehues | 26.08.2020

Vier Teelöffel voll, 30 Sekunden im Mund- und Rachenraum: Mundwasser soll wirken. Foto: M. Niehues
Der Hersteller beschreibt den Geschmack als "cool mint" und empfiehlt eine halbe Minute Gurgeln. Aber schon nach zehn Sekunden beißt die giftgrüne Substanz etwas im Mundraum. Eine längere Einwirkzeit als empfohlen, dürften die wenigsten Anwender ertragen. Corona-Viren sollen da noch empfindlicher sein als der Mensch. Virologen der Ruhr-Universität Bochum haben jetzt herausgefunden, dass sich die SARS-CoV-2-Viren mit bestimmten handelsüblichen Mundspülungen außer Gefecht setzen lassen. Die Anwendung dieser Mittel könnte helfen, kurzzeitig die Viruslast und damit möglicherweise auch das Risiko einer Übertragung von Coronaviren zu senken. Das teilen die Wissenschaftler jetzt im "Journal of Infectious Diseases" mit. Das Ergebnis sorgt für Diskussionen. Die beiden Anästhesie-Chefärzte des Vechtaer Marienhospitals, Dr. Olaf Hagemann und Dr. Christian Hönemann, finden das Forschungsergebnis sehr überzeugend. "Man muss das Rad nicht neu erfinden", sagt dazu Hönemann. Schon bei der spanischen Grippe vor über 100 Jahren sei als Schutz vor Ansteckungen eine akribische Körperhygiene empfohlen worden, auch Mundhygiene gehöre dazu. "Damals wurde als Spülung noch Salzwasser empfohlen", weiß Hagemann. Heute gebe es aber weitaus bessere Mittel überall zu kaufen. Die Wirksamkeit von 8 handelsüblichen Mitteln mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen haben die Bochumer Virologen näher untersucht. Sie mischten hierfür die Mundspülung mit Viruspartikeln und einer Substanz, die dem Speichel im Mund entspricht. 30 Sekunden lang wurde das Gemisch dann geschüttelt, um das Gurgeln im Mundraum zu simulieren. 3 Mundwasser verringerten das Virus innerhalb dieser Zeit derart, dass es nicht mehr feststellbar war. "Deqonal", "Iso-Betadine mouthwash 1,0%" und "Listerine cool mint" sind demnach am wirkungsvollsten. Für die beiden Vechtaer Chefärzte bestätigt sich damit eine Vermutung, die sie schon seit dem Ausbrechen der Pandemie hatten. "Die Idee ist, dass das Virus über den Mundraum aufgenommen wird und sich dort und im Rachenraum vermehrt", erklärt Christian Hönemann. Erst wenn ein Grenzwert überschritten werde, komme es zur Infektion und dann möglicherweise zur Covid-19-Erkrankung. Wenn sich diese Viruslast durch eine Mundspülung reduzieren lasse, komme es möglicherweise nicht zur Ansteckung, ist Hönemann überzeugt. Deshalb sei den Mitarbeitern der hiesigen Corona-Intensiv-Station, wo in der Vergangenheit Covid-19-Infektionen behandelt wurden, intensive Mundhygiene anempfohlen worden. Bis eine Impfung möglich sei, "muss man mit dem Coronavirus im Alltag leben", sagt Christian Hönemann und betont: "Man kann aber etwas dagegen tun." Neben den bekannten Abstandsregeln und dem Tragen von Mund- und Nasenschutz sei eine Mundhygiene zu empfehlen. Wie wichtig das sei, glaubt er bei 2 seiner Patienten erkannt zu haben, die an Covid-19 verstarben. "Beide waren jung, hatten aber einen ruinösen Zahnstatus", stellt Hönemann fest und sieht hier einen Zusammenhang. Wer Mundhygiene betreibe und neben dem Zähneputzen 2 Mal am Tag eine Mundspülung benutze und damit auch den Rachenraum ausspüle, habe gute Chancen, sich selbst und auch andere zu schützen, betonen die Mediziner. Öfter solle das Mundwasser aber nicht angewendet werden, um nicht die Mundflora zu beeinträchtigen. Körperhygiene sei insgesamt wichtig, betonen beide. Wichtig sei zudem, bei Fieber oder Krankheit unbedingt zuhause zu bleiben. Wer alle Regeln einhalte, könne sich gut schützen. Etwas weniger euphorisch betrachtet Allgemeinmediziner Michael Timphus aus Lohne das Ergebnis des aktuellen Forschungsergebnisses. Es gelte klinische Studien abzuwarten, sagt der Sprecher der Kassenärzte im Landkreis. Tatsächlich soll jetzt in Bochum in der klinischen Praxis erprobt werden, wie lange der Effekt anhält. Die dortigen Forscher weisen aber schon jetzt darauf hin, dass Mundspülungen nicht zur Behandlung von Covid-19-Erkrankungen geeignet sind, eine Produktion der Viren in den Zellen könne nicht gehemmt werden. Aber die Viruslast könne kurzfristig dort sinken, wo das größte Ansteckungspotential herkomme, nämlich im Mund-Rachen-Raum. Aber auch wenn das klinische Testergebnis am Menschen noch auf sich warten lässt, auch Timphus ist sich "ziemlich sicher, dass die Einhaltung von Mundhygiene wichtig ist". Auch er selbst greift auf Listerine zurück. Der darin enthaltene Alkohol könne Keime zerstören. Ob jeder Anwender es schaffe, ein ausreichend lang anhaltendes Gurgeln bis in den Rachen umzusetzen, bezweifelt er aber. Gleichwohl hält Timphus diese Form der Mundhygiene in Verbindung mit den bestehenden Abstands- und Mundschutzregeln für sinnvoll. Der Mund- und Nasenschutz schütze den anderen, könne ausgestoßene Partikel um 90 Prozent reduzieren, sagt er. "Mit der Spülung schütze man sich auch selbst", ist er überzeugt. "Der Abstand ist aber das erste Gebot", betont er. Der müsse unbedingt immer eingehalten werden, bis ein Impfstoff zur Verfügung stehe. Der Mediziner weist auch darauf hin, dass es wichtig ist, die Maske regelmäßig zu reinigen. Ein Mund-Nasenschutz sei nach zweistündigem Tragen nass und verfehle dann die Wirkung, müsse deshalb gegen einen neuen Schutz ausgetauscht und gereinigt werden, um diesen von Keimen zu befreien. Maskenhygiene ist also so wichtig wie die des Mundraums.3 handelsübliche Mundwasser sind am wirkungsvollsten
Mundspülungen helfen nicht bei bereits Erkrankten
Mund- und Nasenschutzmaske muss täglich gereinigt werden
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