Der Krieg war vorbei und forderte doch Opfer
Sechs Jungen aus Varnhorn starben am 12. Mai 1945. Heinrich Bramlage war damals als Kind dabei. Die Erinnerung schmerzt bis heute.
Bernd Koopmeiners | 12.05.2020
Sechs Jungen aus Varnhorn starben am 12. Mai 1945. Heinrich Bramlage war damals als Kind dabei. Die Erinnerung schmerzt bis heute.
Bernd Koopmeiners | 12.05.2020
Auf dem alten Visbeker Friedhof wurden die sechs getöteten Jungen am 14. Mai 1945 gemeinsam bestattet. Foto: Koopmeiners
Ihre Gräber sind gepflegt. Das Schicksal der sechs Jungen, die am 14. Mai 1945 auf dem alten Visbeker Friedhof bestattet wurden, ist nicht vergessen. Heinrich Bramlage erinnert an die Kinder aus Varnhorn, die am 12. Mai 1945, vier Tage nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, bei der Explosion einer Panzerfaust ums Leben kamen. Deutsche Soldaten hatten auf ihrem Rückzug von der Front Waffen und Munition einfach im Gelände liegen gelassen. Unmittelbar nach dem Kriegsende (8. Mai 1945) wurde auch in der Gemeinde Visbek angeordnet, Kriegsmaterial aufzusuchen und abzugeben. Das hatten auch die Kinder vor - es kam anders. „In Varnhorn wurden zwölf Jungen im Alter von zehn bis 15 Jahren mit der Durchsuchung der Wälder nach Waffen rund um Varnhorn beauftragt. Als Aufsicht waren zwei Erwachsene – Clemens Dierker und Hermann Siemer (beide aus Visbek) – eingeteilt. Am 12. Mai durchstreiften wir den ganzen Vormittag die Wälder in Varnhorn und suchten das Gelände nach Waffen ab; gefunden wurde nichts. Die beiden Erwachsenen beendeten mittags ihrer Suchaktion. Wir gingen aber nicht mit ihnen nach Hause, sondern liefen etwa 700 Meter an der Aue entlang bis zur Brücke in Thölstedt. Hier legten wir uns ins Gras und hielten die Füße ins Wasser. Als wir etwa um 14.30 Uhr nach Hause gehen wollten, fanden wir neben der Brücke (Thölstedter Auebrücke) eine Panzerfaust. Wir nahmen sie mit. Auf dem Nachhauseweg trennten sich Josef Hermes und Heinz Hohnhorst von uns und schlugen einen anderen Weg ein. Wir waren noch zu zehn Jungs, als wir in einem Baum ein Vogelnest entdeckten. Jeder von uns wollte es ausnehmen. Wir ließen das Los entscheiden. Das Los fiel auf mich, und ich kletterte den Baum hinauf. Ich war erst auf halber Höhe, als es einen fürchterlichen Knall gab. Ich fiel dabei aus dem Baum. Die Panzerfaust war explodiert. Auf dem Boden lagen die Jungen, tot oder schwer verletzt. Es war ein grauenvoller Anblick. Vor Schrecken und Entsetzen lief ich, so schnell ich laufen konnte, nach Hause. Unterwegs kam mir August Muhle nachgehumpelt; er blutete stark, schien aber nur leicht verletzt zu sein. Auf dem Felde waren Aloys Mählmann und Aloys Abeling (beide damals 16 Jahre) am Pflügen. Ich wollte ihnen erzählen, was passiert war, konnte aber kein Wort herausbringen. August Muhle begann zu reden, wurde aber vor Schwäche ohnmächtig. Aloys Mählmann legte ihn auf den Ackerwagen. Währenddessen kamen Josef Hermes und Heinz Hohnhorst angelaufen und berichteten aufgeregt über das Unglück. Sofort liefen Aloys Mählmann und Aloys Abeling zu der Unglücksstelle. Aloys Abeling holte in einem Holzschuh Wasser aus der Aue und gab den Verletzten, die wegen des hohen Blutverlustes großen Durst hatten, zu trinken. Er blieb bei ihnen, bis Hilfe kam. Aloys Mählmann lief zum Feld zurück, spannte die Pferde vor den Ackerwagen – auf dem Wagen lag noch der verletzte August Muhle – und fuhr im Galopp nach Hause. Hier erzählte er schnell, was passiert war, schnappte sein Fahrrad und sauste nach Visbek, um einen Arzt zu holen. Autos gab es nicht; die Telefone waren noch nicht wieder angeschlossen. Im Visbeker Krankenhaus traf Aloys Mählmann einen jungen Assistenzarzt an. Dieser fuhr ebenfalls mit dem Fahrrad sofort mit nach Varnhorn und dann erhielten die Verunglückten endlich ärztliche Hilfe. Später kam noch Dr. Heinrich Wefer. Josef Hermes, Heinz Hohnhorst und ich hatten inzwischen Angehörige der Verunglückten verständigt und alle Dorfbewohner – Haus für Haus – alarmiert. Bauer Hermann Batke kam mit dem Pferdefuhrwerk zur Unglücksstelle. Vorsichtig wurden die Verletzten auf den Gummiwagen gelegt und nach Visbek ins Krankenhaus gebracht. Sechs der Jungen erlagen ihren schweren Verletzungen. Es waren dies: Heinz Gertzen (11 Jahre); Heinrich Busse (14 Jahre); Josef Themann (13 Jahre); Alfons Hohnhorst (15 Jahre); Gerhard Hermes (11 Jahre) und Walter Stolle (10 Jahre). Überlebt haben außer mir August Muhle (damals 13 Jahre), Bernhard Johannes (damals 14 Jahre) und Hermann Gertzen (damals 12 Jahre). Zum Gedenken an die Toten errichteten wir Varnhorner im Jahre 1963 an der Stelle, wo das Unglück passierte, ein Denkmal, auf dem die Namen der Toten stehen.“ „Die Erinnerung an die getöteten Kinder von Varnhorn bleibt eine wichtige Aufgabe; der Unglückstag war der schlimmste Tag in der Geschichte der Gemeinde.“ Die Dorfgemeinschaft Varnhorn versammelte sich am 12. Mai 2010 – 65 Jahre nach dem tragischen Unglück – an der Gedenkstätte zur Maiandacht. Der damalige Bürgermeister Heiner Thölke erklärte, „die Erinnerung an die getöteten Kinder von Varnhorn bleibt eine wichtige Aufgabe; der Unglückstag war der schlimmste Tag in der Geschichte der Gemeinde“. Bernhard Muhle verlas den von Gastwirt Heinrich Bramlage (verstorben am 17. Mai 2018) verfassten Bericht. Jungen aus Varnhorn brachten Blumen zum Gedenkstein für die sechs tödlich verunglückten Jungen aus der Bauerschaft. Zum 75. Jahrestag des tragischen Unglücks hat Ortssprecher Georg Hermes, Varnhorn, angekündigt, dass auch in der schon bald erscheinenden neuen Ortschronik Varnhorn an die sechs Jungen erinnert wird.Heinrich Bramlage, damals 10 Jahre alt, schrieb später:
Der Nestraub rettete dem Zehnjährigem das Leben
Die Verletzten kamen ins Visbeker Krankenhaus
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