Der älteste Schuh Norddeutschlands wird in Vechta konserviert
Etwa 46 vor Christus blieb die Ledersandale zwischen Lohne und Diepholz im Moor stecken. Ein Unfall mit einem Holzwagen könnte die Ursache gewesen sein.
Matthias Niehues | 17.06.2021
Etwa 46 vor Christus blieb die Ledersandale zwischen Lohne und Diepholz im Moor stecken. Ein Unfall mit einem Holzwagen könnte die Ursache gewesen sein.
Matthias Niehues | 17.06.2021
Optisch unauffällig und doch eine Sensation: Der zwischen Lohne und Diepholz im Moor gefundene Schuh. Foto: M. Niehues
Mit einem Zerstäuber sprüht sie vorsichtig etwas Wasser über das Exponat. Nichts wäre schlimmer als Austrocknen. Dann wäre alles verloren, das Leder könnte in kleine Einzelteile zerfallen. Amandine Colson besonderes Augenmerk gilt derzeit dem ältesten Schuh Norddeutschlands, der über 2.000 Jahre lang im nassen Torf des Moors zwischen Lohne und Diepholz begraben lag. Die Restauratorin des Vechtaer Unternehmens Denkmal 3D versucht den einzigartigen Fund mit speziellen Mitteln zu konservieren. Danach könne eventuell über den Fußabdruck des Besitzers die Größe ermittelt werden. Vielleicht hafte sogar DNA des Eigentümers am Schuh, erklärt Colson. Obwohl der Lederschuh mit seinen Schnürfäden sich farblich kaum vom Torf des Moores abhebt, ist er jetzt bei Ausgrabungsarbeiten an einem vor über 2.000 Jahren angelegten Moorweg entdeckt worden. Der vier Kilometer lange Bohlenweg mit der Bezeichnung Pr 6 stellte damals eine wichtige Verbindung zwischen Lohne und Diepholz dar. Dr. Marion Heumüller bezeichnet den Fund als "absoluten Glücksfall". Die Moorarchäologin des Niedersächsischen Landesamtes für Denkmalpflege erkannte sofort einen Zusammenhang mit einer hölzernen gebrochenen Wagenachse, die nur etwa einen Meter neben der Sandale gefunden wurde. Sie geht davon aus, dass die Achse des vermutlich von Rindern gezogenen Wagens entzwei ging und es zu einem Unfall auf der holprigen Strecke kam. Dabei oder beim Versuch, die Wagenteile zu bergen, habe der Besitzer des Schuhs vermutlich neben den Weg getreten. Dabei seien die Sandalen im Morast stecken geblieben und jetzt nach über 2.000 Jahren gefunden worden. Auch wenn der Schuh im jetzigen Zustand noch wenig attraktiv erscheint, loben diesen Archäologin und Restauratorin doch als besonders gut erhalten. Dies sei über den langen Zeitraum nur wegen der Nässe eines Moores oder bei absoluter Trockenheit wie bei den Pyramiden in Ägypten möglich, erklären sie. Gerade deshalb könnten in den hiesigen Mooren interessante Fundstücke geborgen werden. Zwar sind nach Angaben von Heumüller schon früher Schuhe in Mooren gefunden worden. Diese seien aber Jahrzehnte bis Jahrhunderte jünger. Jeder Schuh sei dabei ein mit großem handwerklichen Geschick hergestelltes Einzelstück - auch in diesem Fall. Fertig konserviert soll der Schuh später getrocknet und ausgestellt werden. Nach den Ausführungen der Moorarchäologin sind prähistorische Bohlenwege ein einzigartiges Zeugnis der Mobilität früherer Zeiten. Gesicherte Verbindungen sei schon damals ein hoher Wert beigemessen worden. Rund 500 Moorwege aus Holz sollen ab der Steinzeit entstanden sein. Nur so sei es einst möglich gewesen, die ausgedehnten Moorgebiete zu überqueren. Wie Heumüller berichtet, sind bereits im 19. Jahrhundert erste historische Moorwege zwischen Lohne und Diepholz entdeckt worden. Der Bohlenweg mit der Bezeichnung Pr 6, dessen 520 Meter langes Teilstück derzeit ausgegraben wird, gilt als einer der weltweit längsten überhaupt. Nach Angaben der Experten ist der Moorweg vor etwa 2.070 Jahren entstanden, um 46 vor Christus. Dies hat eine Untersuchung des verwendeten Holzes ergeben, das für den Bau verwendet worden sei. Da der Weg nur für kurze Zeit genutzt wurde, geht Marion Heumüller davon aus, dass auch der Schuh entsprechend alt sein muss. Wie Alexander Schubert, Geoinformatiker bei Denkmal 3D, erklärte, ist es mittels moderner Technik jetzt erstmals möglich, die Teilausgrabungen schrittweise vom Boden aus und mit einer Drohne aus der Luft zu fotografieren und bildlich zusammenzufassen. Zudem werden Ausgrabungsschritte mit 3D-Laser-Scannern erfasst. Freigelegte Wege werden so später auf digitalem Wege sichtbar und erlebbar. Der technische Fortschritt biete hier viele Vorteile. Bisher stellten Museen immer nur einzelne Holzelemente von solchen Bohlenwegen aus. Erstmals, so erklärte Marion Heumüller gebe es jetzt die Überlegung, ein ganzes Segment des Moorweges zu bergen und genauso auszustellen, wie dieses im Moor vorgefunden wurde. Jedes Holzstück soll dann genauso neben dem anderen liegen wie im Original. Der Verein Naturpark Dümmer, an dem auch die Landkreise Vechta und Diepholz beteiligt sind, hatte das jetzige Ausgrabungsprojekt als Träger möglich gemacht. Der Vechtaer Landrat Herbert Winkel machte am Mittwoch bei einer Besichtigung der Funde in Calveslage deutlich, dass es beinahe wegen der hohen Gesamtkosten von knapp 700.000 Euro gar nicht zu den jahrelangen Ausgrabungen gekommen wäre. Detlev Tänzer als Geschäftsführer des Naturparks Dümmer sei es aber damals gelungen, etwa 454.000 Euro an Förderungen zu generieren. Winkel dankte daher dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE), der Stadt Diepholz, den Torfwerken Haskamp, Bokern und Rießelmann, der von Döllen Stiftung und allen Förderern für die Unterstützung. Moorweg entstand vor 2.070 Jahren
Ganzes Segment des Bohlenweges soll ausgestellt werden
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