Vollgefuttert, zu viel Alkohol und natürlich dürfen Sprüche unter der Gürtellinie auch nicht fehlen, um das Ganze abzurunden – "sonst ist man nicht dabei gewesen", sag ich ja immer. Kleiner Tipp: Es geht weder um einen Ballermann-Urlaub noch um einen Junggesellenabschied, sondern um das gute alte Familientreffen.
Hach ja.
Nachdem es wegen Corona um Zusammenkünfte aller Art in den vergangenen Monaten ja eher schlecht bestellt war, haben wir vielleicht angefangen, uns Dinge herbeizusehnen, die vor Corona selbstverständlich waren. Der Mensch an sich neigt ja dazu, Vergangenes gerne zu glorifizieren. Die Schulzeit, alte Beziehungen ... mit einer seufzenden Sehnsucht kramen wir noch einmal die staubige rosarote Brille heraus, die uns doch einst so gut stand. Hier ein kleiner Sprung im Glas, da ein bisschen blind – macht nix, passt noch. Wir hauchen ein wehmütiges "Weißt du noch", wenn wir an unsere Kindheit denken und vielleicht neigen wir zu dem Verhalten auch jetzt in der Corona-Zeit. Die Verwandten treffen. Weißt du noch? Alle zusammen zum Kaffee und Kuchen bei Tante Erna? Bier und gegrillte Schweinereien an Onkel Dieters Geburtstag, ach und die gemeinsamen Weihnachtsfeste. Wie haben wir das vermisst. Sich sehen, reden, lachen.
Und dann klopft sie nicht sanft an der Tür, die Realität, nein. Sie tritt sie ein. Mit ramboartiger Präzision und zum Vorschein kommt kein besinnliches Treffen mit schönen Gesprächen in angenehmer Atmosphäre, nein. Es ist vielmehr ein "HALLO! HIER BIN ICH!", sobald man das sichere Auto verlassen hat. Der eigentlich altersschwache Hund der Großtante verlustiert sich am Bein des Besuchers, kaum dass die Haustüre hinter einem ins Schloss gefallen ist – "Pfui, Harro! Der will nur spielen"; irgendwelche präpubertären Neffen streiten sich lautstark und alle nehmen nach großem Hallo an der Kaffeetafel Platz.
"Wir haben total versagt, denn wir haben bislang weder ein Haus gebaut, noch ein Kind bekommen ..."
Christina Knäblein, Redakteurin
Fällt man dann am Abend Stunden später – zu viele Stunden – auf die eigene Couch, ist man total geschafft. War das immer schon so anstrengend? Mit jedem Stück Kuchen, das verschwand und mit jedem Glas Sekt, das geleert wurde, wurden die Gespräche unangenehmer. "Wie, ihr seid noch immer nicht schwanger?!", war eine der eher erträglicheren Fragen.
Wir resümieren: Wir haben total versagt, denn wir haben bislang weder ein Haus gebaut, noch ein Kind bekommen. Der Einwurf, dass man nicht zwangsläufig das tut, was alle tun, brachte viel "aber" mit sich und endete mit "da kann man wirklich von Glück sprechen, dass ihr beiden wenigstens einen Job habt". Das stimmt natürlich. Glück gehabt. "Und sie sieht ja auch noch immer ganz knackig aus, Betonung auf NOCH. Harharr", längerer Blick auf mein Dekolleté. Hat nicht jeder diesen einen Onkel, dessen Anzüglichkeiten ein Familientreffen erst zu dem machen, was es ist?
Auf jeden Fall waren wir noch besser dran als eine Cousine, frisch getrennt nach jahrelanger Ehe und jetzt alleinerziehend. "Vielleicht frisst du einfach mal weniger, dann laufen dir auch nicht die Männers immer wech." Dieser gut gemeinte Rat kam von einem wirklich stramm im Hemd stehenden Verwandten, der während dieses wunderbaren Ratschlags ein weiteres Stück Torte auf seinen Teller wuchtete.
Das nächste Verwandtschaftstreffen soll übrigens bei uns stattfinden und vielleicht bin ich dann endlich einmal mutig genug und biete das an, was ich schon immer mal als gute Gastgeberin anbieten wollte: Mantel, Taxi oder das Sie. Dieses Duzen, das muss ja nicht sein. Ach Corona, es war wirklich nicht alles schlecht an dir.