"Wir wollen erreichen, dass der Besuch eines Psychotherapeuten genauso normal ist wie der Besuch eines Physiotherapeuten", umreißt Peter Kraus das Ziel der bundesweiten Mut-Tour. Der 54-Jährige aus Groß-Gerau ist selbst Betroffener und plant, die Fahrradfahrt vom Startpunkt Stadthagen (17. Juli) bis nach Ulm, eventuell bis zum Tourziel Bensheim, am 18. September zu begleiten. Jetzt machte er mit Mitstreiterinnen wie Inge Meurer aus Köln und Franziska Radszun aus Berlin einen Zwischenstopp in Bühren beim Gestüt Oldehus und nahm an den Kundgebungen in Vechta und Cloppenburg teil.
"Mir ist es wichtig, dass Depressive nicht stigmatisiert und als Aussätzige behandelt werden."Inge Meurer, Betroffene und Teilnehmerin der Mut-Tour 2021
An den einzelnen Etappenstationen klären die Pedalisten über psychische Erkrankungen wie beispielsweise Depression auf und bauen dadurch Vorurteile ab. „Mir ist es wichtig, dass Depressive nicht stigmatisiert und als Aussätzige behandelt werden“, sagt Inge Meurer. Davon sei man jedoch noch weit entfernt, aber es sei gut, dass inzwischen immer mehr prominente Betroffene über ihre Depressionen redeten. Die 60-Jährige hat selbst Depressionen. 2015 ballten sich Schicksalsschläge, womit sie vollkommen überfordert war und erkrankte. Ihr persönlich halfen und helfen Musik und Sport, um sich aus einer Depression herauszukämpfen.
"Es ist eine schwere Krankheit, aber behandelbar."Peter Kraus, Betroffener und Teilnehmer der Mut-Tour 2021
"Es ist eine schwere Krankheit", sagt Peter Kraus, "aber behandelbar." Es handele sich jedoch um eine sehr individuelle Krankheit, welche ganz unterschiedliche Auslöser haben könne. Franziska Radszun hat Angehörige, die unter Depressionen leiden. "Ich kenne diese Phasen, wo nichts geht." Die Krankheit belaste die Beziehungen untereinander und als Kind vermisse man Orientierung, Verlässlichkeit und Sicherheit. Dabei entstünden auch Verletzungen, daher sei es für Angehörige von großer Bedeutung, sich zu informieren, damit sie die Krankheit und ihre Auswirkungen verstehen könnten.
"Der Betroffene muss den Weg aus der Depression selbst gehen, aber Angehörige und Freunde können ihn auf diesem Wege unterstützen und Halt geben."Franziska Radszun, Teilnehmerin Mut-Tour 2021
Wichtig sei es, die Krankheit zu akzeptieren und sich helfen zu lassen, meint Inge Meurer. Dem stimmt auch Franziska Radszun zu: "Der Betroffene muss den Weg aus der Depression selbst gehen, aber Angehörige und Freunde können ihn auf diesem Wege unterstützen und Halt geben." Das Angebot "Ich bin hier, wenn du Hilfe brauchst" sei wichtig, sagt die 32-jährige Berlinerin. Peter Kraus, Inge Meurer und Franziska Radszun betonen, dass Betroffene aus einer solchen Krise gestärkt herausgehen könnten, da sie sich mit sich selbst auseinandergesetzt hätten. Mehr gesellschaftliche Akzeptanz und weniger Vorurteile seien wichtig, aber Depression sei eine Krankheit, die nicht ins Bild der Leistungsgesellschaft passe, bedauert Franziska Radszun.
Die Radler sind auf Tandemrädern unterwegs und zeigen dort auch Flagge. 50 bis 60 Kilometer legen sie am Tag zurück, abends wird gezeltet. 40 Kilogramm wiegt das Gepäck. Das geht in die Beine, denn die Tandems sind nicht mit einem Elektromotor ausgestattet. Es ist eine offene Radtour, und so nahmen auf der Etappe zwischen Vechta und Cloppenburg viele Aktive aus unterschiedlichen Selbsthilfegruppen teil – gemeinsam unterwegs für neue Perspektiven im Umgang mit Depressionen. Seit 2012 machen Menschen mit und ohne Depressionserfahrung über die Mut-Tour Öffentlichkeitsarbeit. Peter Kraus, Inge Meurer und Franziska Radszun wollen mit ihren persönlichen Geschichten Mut machen, Hilfe anzunehmen und in einen Dialog einzutreten. Deswegen haben sie auch im vergangenen Jahr den Verein Mut fördern gegründet.
Regionale Anlaufstellen:
- Kontaktstelle für Selbsthilfe, Altes Stadttor 16, 49661 Cloppenburg; Telefon: 04471/185872
- Kontakt- und Beratungsstelle Selbsthilfe Vechta, Neuer Markt 30, 49377 Vechta; Telefon: 04441/8982232