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Von göttlichem Glanz und Glitzer – ein Essay zu Weihnachten von Tabina Bremicker

Kaum ein Fest ist so stark von Traditionen geprägt wie Weihnachten. Und dennoch verklärt es
nicht nur die Vergangenheit. Ganz im Gegenteil.

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Alle Bilder sind mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz entstanden. Dieses trägt den Titel „Spiritualität“; dazu ist folgende Unterzeile ausgesucht worden: „Freut euch immerzu! Betet unablässig! Dankt Gott für alles! Denn das ist Gottes Wille, und das hat er durch Christus Jesus für euch möglich gemacht.“ 1. Thessalonicher 5,16-18 Fotonachweis: ELKiO/Gabriele Dünwald mit Midjourney

Alle Bilder sind mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz entstanden. Dieses trägt den Titel „Spiritualität“; dazu ist folgende Unterzeile ausgesucht worden: „Freut euch immerzu! Betet unablässig! Dankt Gott für alles! Denn das ist Gottes Wille, und das hat er durch Christus Jesus für euch möglich gemacht.“ 1. Thessalonicher 5,16-18 Fotonachweis: ELKiO/Gabriele Dünwald mit Midjourney

Ich stehe auf dem Friedhof, einen Tag nach Weihnachten. Eine Tochter trägt ihren Vater zu Grabe, Tränen tropfen in den Schnee. Ich erzähle von den drei Weisen, die sich auf den Weg machen, um einem Stern zu folgen. Völlig verrückt, könnte man denken, es ist doch nur ein Stern. Doch die Männer lassen sich nicht abbringen, wagen voller Sehnsucht den Aufbruch. Auch die Angehörigen auf dem Friedhof müssen von diesem Tag an unbekannte Wege gehen. Wie werden sie aussehen? Was wird anders sein, so kurz nach dem Fest, an dem wir uns eigentlich nur wünschen, dass das Leben es gut mit uns meint? Wird noch Raum für Wunder bleiben? Für Sehnsucht und das Vertrauen, heil zu werden?

Mir kommt das Musical „Meet Me in St. Louis“ in den Sinn. In dem Film von 1944 eröffnet ein Vater seiner Familie ausgerechnet an Weihnachten, dass er beruflich versetzt werde und die Familie umziehen müsse. Alle sind tief bestürzt, am unglücklichsten aber ist die jüngste Tochter Tootie. Ihre ältere Schwester Esther, gespielt von Judy Garland, versucht daraufhin, sie aufzuheitern und singt: „Have Yourself a Merry Little Christmas, Let Your Heart Be Light – Mach dir ein schönes Weihnachtsfest, lass dein Herz leicht werden“. Das Lied soll trösten und enthält doch eine Traurigkeit, die im Hals sitzt. Es ist jenes Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir jemanden aufmuntern möchten und dabei spüren, wie schwer das ist.

Einsamkeit: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben – von ganzem Herzen (…) und mit all deiner Kraft und deinen Nächsten wie dich selbst. Lukas 10,27 Fotonachweis: ELKiOGabriele Dünwald mit MidjourneyEinsamkeit: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben – von ganzem Herzen (…) und mit all deiner Kraft und deinen Nächsten wie dich selbst." Lukas 10,27 Fotonachweis: ELKiO/Gabriele Dünwald mit Midjourney

Viele Weihnachtslieder haben diese Eigenschaft. So liegt der zarten Melodie von „Stille Nacht, heilige Nacht“ etwa die Botschaft zugrunde: „Da uns schlägt die rettende Stund’. Christ, der Retter ist da.“ Es geschieht also etwas in der Heiligen Nacht, etwas, das verändert, verwandelt, ja rettet. Die Bibel erzählt es auch in der Weihnachtsgeschichte: Da ist Josef, der von Marias Sohn träumt, der nicht seiner ist, aber seiner werden soll. Er entscheidet sich für Maria und das ungeborene Kind, ohne auf das Gerede der Nachbarn zu achten, und sattelt den Esel für die Reise nach Bethlehem, im Gepäck nichts als Liebe und die Ahnung: Es wird werden.

Auch Maria hat zunächst nichts als einen Traum, in dem ihr der Engel Gabriel verkündet, dass sie ein Kind erwarte, das die Welt verändern werde. Auch wenn diese Botschaft ganz sicher Marias eigene Welt auf den Kopf stellt, verzagt sie nicht, sondern spürt Kraft in sich aufsteigen: „Gott hat Großes an mir getan. … Jetzt stürzt er die Mächtigen vom Thron und richtet die Unterdrückten auf“, heißt es bei Lukas 1,39-56. Eigentlich ungewöhnlich, dass Maria von ihrer privaten Situation auf die politische Dimension zu sprechen kommt. Aber schon hier zeigt sich: Mit diesem Kind ist alles anders, wird alles anders. Schon die Ankündigung seiner Geburt weist auf die Zukunft hin.

Eine revolutionäre Geschichte

Diese mehr als 2000 Jahre alte Geschichte ist ziemlich revolutionär: Ein junger Vater, der sich gegen die Konventionen seiner Zeit stellt und zu seinem Kind steht, auch wenn die Vaterschaft nicht geklärt ist. Der sich traut, die Bedürfnisse seiner Familie wichtig zu nehmen, emphatisch und sensibel zu sein. Dessen Traum es heute vermutlich wäre: eine Gesellschaft, die einsteht für Gleichberechtigung in Elternzeit und Partnerschaft.

Daneben die junge Mutter. Als Frau komplett unwichtig und unsichtbar – nicht nur in biblischer Zeit. Und doch ist sie die Heldin dieser Geschichte. „Du hast mich angesehen“, sagt Maria zu Gott. Ihr Lobgesang wird zur Hymne von Empowerment, ist radikale Umkehr der bestehenden, als ungerecht empfundenen Verhältnisse. Maria verkörpert spirituelle Widerstandskraft und sucht Verbündete für Veränderung. Die Sehnsucht nach Wandel, wie Maria sie erlebt, kann ein starker Motor sein. Sie hinterfragt Strukturen und Haltungen, überprüft Glaubenssätze. Ihre Superkraft: Sie kann Menschenzusammenbringen, die anderen helfen. Sie schafft ein Miteinander, das trägt. Jesus, das Kind in der Krippe, verändert. Zunächst Maria und Josef. Und dann alle, die sich von dem Wunder berühren lassen. Auch uns kann das Kind in der Krippe verändern. Und wir können etwas verändern, jede und jeder Einzelne von uns. Also: Tu es Jesus gleich. Setz dich ein in deiner Nachbarschaft und darüber hinaus, wenn jemand gegen Minderheiten hetzt. Engagiere dich fürs Klima und gegen wirtschaftliche Ungerechtigkeit. Baue mit an einer Gesellschaft, in der jeder Mensch willkommen ist. Gehe nicht einfach vorbei, wenn du jemanden in Not siehst.

Geflüchtete: Ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich beherbergt.“ Matthäus 25,40 Fotonachweis: ELKiOGabriele Dünwald mit MidjourneyGeflüchtete: „Ich bin ein Fremdling gewesen, und ihr habt mich beherbergt.“ Matthäus 25,40 Fotonachweis: ELKiO/Gabriele Dünwald mit Midjourney

Oft braucht es nur einen Funken, der überspringen muss. Wie der Bastelglitzer, der weitergetragen wird und sich in kürzester Zeit an den unmöglichsten Orten festsetzt – kleine zarte Glanzpunkte, die sich ausbreiten. „Deine Freundlichkeit auch uns erschein’“, funkelt es in einem bekannten Adventslied.

Weihnachten weckt eine Sehnsucht nach dem Früher, nach heiler Welt und gelingendem Leben. Das Schöne ist, genau diese Sehnsucht lässt sich weiten. So wie es im Song „Have Yourself a Merry Little Christmas weiter heißt: Hang a shining star upon the highest bough – Hänge einen strahlenden Stern an den höchsten Ast.“

Genau hier beginnt Hoffnung. In dieser Geste, wenn ich mich ausstrecke und langmache, um an den höchsten Ast zu kommen. Und je dunkler es ist, desto mehr springen sie ins Auge, all die kleinen Lichter, die bereits da sind. Die kleinen Gesten, der Goldglanz, das Ermunternde von Weihnachten, das flüstert: Es wird schon werden, du wirst es sehen. Je dunkler es wird, desto größer wird die Sehnsucht, nach den Sternen zu greifen. Am besten nach dem einen, der uns zu einem guten Ziel führt.


Hintergrund:

  • Zum Weihnachtsfest hat die Ev.-Luth. Kirche in Oldenburg die Grafikdesignerin Gabriele Dünwald beauftragt, mithilfe von Künstlicher Intelligenz eine moderne Version von Jesus zu gestalten. Die Frage: Was wäre Jesus heute für ein Mensch?
  • Dazu hat die Delmenhorster Pfarrerin Tabina Bremicker ein Essay geschrieben.

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