Nein, hier fliegen nicht die Löcher aus dem Käse – und nein, sie startet nicht, die Polonäse von Blankenese bis hinter Wuppertal. Wir ziehen also nicht los mit ganz großen Schritten – und nein, der Erwin fasst der Heidi auch nicht von hinten an die Schulter. Die Festgesellschaft prallt gegen die Omikron-Wand, nix is' mit Party in diesen Tagen. Dabei gäbe es einen Grund zum Feiern, denn der dritte Samstag des Jahres ist der "Tag des deutschen Schlagers". 2009 wurde er ins Leben gerufen, damals unter Schirmherrschaft von Dieter Thomas Heck.
"Mister Hitparade" ist mittlerweile verstummt, doch sein Erbe steht nicht auf tönernen, sondern tönenden Füßen. Schlager wurden tausendfach totgesagt, doch ebenso oft feierten sie eine wundersame Wiederauferstehung oder lebten einfach weiter. Wenn heutzutage große, oftmals mehr als dreistündige TV-Shows mit den Protagonisten Florian Silbereisen, Giovanni Zarrella oder Helene Fischer die Wohnstuben beschallen, finden sie nach wie vor ein Millionenpublikum. Wie wohl auch an diesem Samstag.
Black, Carpendale, Kaiser: erfolgreicher als die englischsprachige Konkurrenz
Seine kommerziell erfolgreichste Phase hatte der Schlager in den Siebzigern – zu einer Zeit, in der er am stärksten polarisierte. In intellektuellen Kreisen wurde er als "kleinbürgerliche Unterschichtenunterhaltung" abgekanzelt, was aber nichts daran änderte, dass Interpreten wie Roy Black, Howard Carpendale, Jürgen Marcus oder Roland Kaiser zu ihren besten Zeiten mehr Platten verkauften als ihre englischsprachigen Konkurrenten.
Und der Schlager, dem die Analytiker "einfachste musikalische Strukturen und triviale Texte, die an das Harmonie- und Glücksverlangen der Zuhörer appellieren" ins Stammbuch schrieben, gab sich wehrhaft. Das Komponisten-Duo Fred Jay und Jack White nahm die vermeintlich oberschlauen Madigmacher aufs Korn ("Sie halten sich für die Klügsten der Welt, . . . für sie gilt nur was ihnen gefällt") und schrieben Tina York den fanfarigen und trotzigen Refrain "Wir lassen uns das Singen nicht verbieten" auf den Leib. Es wurde zu einem der erfolgreichsten Lieder des Jahres 1974.
„Der Schlager ist mehr als ,Wir singen tra-la-la und tanzen hop-sa-sa' oder ,Karamba Karacho, ein Whisky' – das ist er aber eben auch."Alfons Batke, Kolumnist
Natürlich lässt sich über den Schlager trefflich streiten, häufig nehmen solche Debatten ideologische Ausmaße an. Aber sie machen Spaß. War da nicht beispielsweise die viel zu früh verstorbene Alexandra ihrer Zeit weit voraus, als sie 1968 "Mein Freund der Baum" ("Er fiel im frühen Morgenrot. Bald wächst ein Haus aus Glas und Stein, dort wo man ihn hat abgeschlagen") interpretierte und ebenso der Schlagergattung zugeordnet wird wie etwa Juliane Werding, die lange vor "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (1978) mit "Am Tag, als Conny Kramer starb" (1972) das Thema Drogenmissbrauch auf die Agenda setzte. Und es ist schon fast 40 Jahre her, als eine Gruppe namens "Gänsehaut" mit "Karl der Käfer" (1983) auf das Artensterben aufmerksam machte.
Der Schlager ist mehr als "Wir singen tra-la-la und tanzen hop-sa-sa" oder "Karamba Karacho, ein Whisky" – das ist er aber eben auch. Schlager sind die "Sieben Fässer Wein" ebenso wie die sieben Brücken, über die man gehen muss. Schlager besingen das Gastarbeiter-Schicksal ("Griechischer Wein") wie sie den Zeitgeist widerspiegeln ("Ein bisschen Frieden"). Schlager sind wie das Leben – vielfältig. Und sie haben es verdient, dass man ihnen einen Ehrentag eingerichtet hat. Schlager, verdammt ich lieb' dich!
Zur Person:
- Alfons Batke blickt auf eine über 40-jährige journalistische Laufbahn zurück.
- Der 65-Jährige lebt als freier Ruheständler in Lohne.