Duo verschafft Dichtern aus Osteuropa hierzulande Gehör
Neuer Gedichtband "Der Osten leuchtet" ist auf dem Markt: Die damit verbundene Herkulesaufgabe als Herausgeber haben Ralf-Rainer Rygulla und Marco Sagurna gestemmt.
Kerstin Köhne | 05.10.2022
Neuer Gedichtband "Der Osten leuchtet" ist auf dem Markt: Die damit verbundene Herkulesaufgabe als Herausgeber haben Ralf-Rainer Rygulla und Marco Sagurna gestemmt.
Kerstin Köhne | 05.10.2022
Lesen und vorlesen: Viel Arbeit haben Ralf-Rainer Rygulla (links) und Marco Sagurna als Herausgeber in die Auswahl der Gedichte für "Der Osten leuchtet" gesteckt. Foto: Marco Sagurna, Selfie
"Der Osten leuchtet – Poetische Töne aus Europa" vereint aktuelle Lyrik von mehr als 150 Verfassern und Übersetzern aus Osteuropa auf 400 Seiten. Der Band ist dabei ein Stück Zeitgeschichte, das aktueller nicht sein könnte. Krieg, Unterdrückung, Elend in allen Facetten werfen auf viele der Gedichte Schatten, auch wenn Alltägliches im Mittelpunkt steht. Die Lektüre ist mitunter heiter, viel häufiger aber erschüttert sie: Es wird gesagt, was ist. Auch Lyrik kann direkt, kann Klartext sein. Unmittelbar hat auch der Krieg in der Ukraine die Entstehung der Lyriksammlung selbst beeinflusst. Kurz vor Drucklegung habe man noch Werke zweier ukrainischer Dichter aufgenommen, erzählt Marco Sagurna, neben Ralf-Rainer Rygulla Herausgeber der Anthologie, die im Axel Dielmann-Verlag erschienen ist. Die Gedichte des einen Ukrainers hat ein Russe übersetzt, mit dem die Zusammenarbeit immer schwieriger wurde, da in Russland die sozialen Medien abgeschaltet wurden. Am Ende hat es dann doch alles geklappt. Interessant ist neben den Gedichten auch die Geschichte, die hinter der Entstehung des Bandes steckt. Auf die Idee, eine Anthologie aktueller Lyrik aus Osteuropa zusammenzustellen, hat Sagurna das bereits existierende Gegenstück "ACID – Neue amerikanische Szene" gebracht. Dieses Buch hatte 1969 der gebürtig aus Vechta stammende Autor Rolf Dieter Brinkmann (1940 bis 1975) gemeinsam mit Ralf-Rainer Rygulla herausgegeben. Damit eröffneten die beiden den Lesern und auch jungen deutschen Autoren eine ganz neue Welt des Erzählens und der Sprache: die Beat- und Underground-Lyrik. Als Sagurna dann mehr als 50 Jahre später, 2018, Lyrikbände aus Osteuropa liest und von ihnen begeistert ist, nimmt er Kontakt zu Rygulla auf, fragte, ob er nicht Lust habe, nach dem Westen nun den poetischen Osten in einem Buch vorzustellen. Es ist nicht das erste Mal, dass Sagurna, der in Vechta studierte und dort auch als OV-Redakteur tätig war, und Rygulla aufeinandergestoßen sind. Bereits 1989 führte Sagurna für das Buch "too much – das lange Leben des Rolf Dieter Brinkmann" Interviews mit Brinkmanns einstigem Weggefährten Rygulla. Der ehemalige Lektor hatte damals in Frankfurt am Main als Chef des Clubs Cooky's und des Techno-Clubs U60311 in der Musikszene die Nase vorn. Das aber ist schon eine Weile her und glücklicherweise hat Rygulla nun Zeit und Lust, sich auf den "Osten" einzulassen. "Was mich an den gefundenen Texten so erstaunt hat, ist das selbstverständliche Dasein von Gegenwart, von Leben, Tod und Liebe, der vitale und sprachempfindsame Umgang mit dem, was ist", schreibt Rygulla über das Buch. Bis die Auswahl der Texte steht, haben die Herausgeber 178 Bücher durchgearbeitet, sich mehrfach getroffen und sich unendlich viele Gedichte vorgelesen. Zwischen die Buchdeckel geschafft haben es dann nur die Texte, "wo wir uns einig waren. Texte, die uns angemacht haben", sagt Sagurna. Die Wahnsinnsarbeit hat sich gelohnt. Wer "Der Osten leuchtet" liest, fühlt sich wie auf einer geheimen Mission. Er erlebt den Alltag der Menschen unmittelbar – Freude, Trauer, Leid. Nichts geschönt, alles schonungslos echt.Die Herausgeber haben 178 Bücher im Vorfeld durchgearbeitet
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