Jahresrückblick: Wo sich die Wirtschaftskrise im OM bemerkbar macht
Eine mächtige „Pleitewelle“ wie in anderen Regionen Deutschlands gab es im Oldenburger Münsterland zwar nicht, aber auch vor Ort wird die wirtschaftliche Lage schwieriger.
Wird es weitergehen? Das Insolvenzverfahren von Advanced Bikes mit Hauptsitz in Offenbach am Main sowie Produktionswerk in Neuenkirchen-Vörden/Rieste läuft. Ziel ist der Erhalt des Unternehmens. Foto: Advanced
Die Wirtschaftskrise in Deutschland hat auch im Nordwesten Unternehmen in Schieflage gebracht. Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform erwartet für das laufende Jahr 72 Insolvenzen je 10.000 Unternehmen in Niedersachsen – nach 53 im Jahr 2023. Niedersachsen landet mit dieser Quote an Firmenpleiten bundesweit auf dem fünften Platz. Die höchsten Insolvenzquoten haben Bremen (113) und Berlin (123). Die lahmende Konjunktur trifft auch die Wirtschaft im Oldenburger Münsterland. Allerdings, und so erleben es auch die Insolvenzgerichte Cloppenburg und Vechta, nicht in dem Maße, wie es in anderen Regionen Deutschlands der Fall zu sein scheint. Durch das Oldenburger Münsterland schwappt keine „Pleitewelle“ besorgniserregenden Ausmaßes.
Insolvenzen: Dr. Annedore Rikus (Amtsgericht Cloppenburg) und Tobias Vogt (Amtsgericht Vechta) sind die für die Insolvenzanträge zuständigen Richter in ihren jeweiligen Gerichtsbezirken. „Stand heute sind hier im laufenden Jahr 154 Regelinsolvenzverfahren beantragt worden, davon je zehn im September und Oktober und 14 im November. Insofern kann man schon von einem deutlichen Anstieg im Vergleich zu den Jahren seit 2020 einschließlich sprechen“, ordnet Rikus das ablaufende Jahr ein. Sie bemerkt aber auch: „Auch 2018 hatten wir 152 Verfahren.“
Vogt hatte Ende des dritten Quartals 103 Verfahren gemeldet und für das laufende Jahr deren Gesamtzahl auf 137 geschätzt. „Eine außergewöhnliche Häufung von Unternehmens-Insolvenzanträgen ist hier zum Jahresende nicht zu verzeichnen gewesen“, sagt Vogt auf Anfrage, ohne konkrete Zahlen zu nennen.
Beide Richter verweisen darauf, dass die Statistiken der jüngeren Jahre „schief“ sind. So wurde in der Coronaphase die Insolvenzanzeigepflicht ausgesetzt. Insofern stellen sich die aktuellen Zahlen durchaus als die Rückkehr zu einer gewissen Normalität dar.
Hauptgrund für Insolvenzen: Unternehmen können angesichts ihrer schwachen Finanzlage die Coronahilfen nicht zurückzahlen
Als Hauptgrund für die Zunahme der Insolvenzen sehen Experten die Coronahilfen, die während der Pandemie Unternehmen gestützt hätten. Diese Hilfen müssen zurückgezahlt werden, was einige Unternehmen nicht (mehr) leisten könnten, heißt es in den Analysen. Die anhaltend schwache Wirtschaftslage im Land tut aktuell ein Übriges.
Eine Insolvenz, die nicht in die Statistik der hiesigen Amtsgerichte eingehen wird, ist die von Advanced Bikes. Der ambitionierte E-Bike-Hersteller mit gesellschaftlichem Hauptsitz in Offenbach am Main und Produktionswerk im Niedersachsenpark in Neuenkirchen-Vörden/Rieste hatte für seine Mitarbeiter im November am Hauptsitz ein Insolvenzverfahren beantragt.
Für den ambitionierten E-Bike-Hersteller Advanced Bikes suchen Inhaber und Insolvenzverwalter aktuell Investoren. Foto: Advanced
In diesem Fall hat sich auf Anfrage nun auch Insolvenzverwalter Dr. Martin Kaltwasser geäußert. Der Frankfurter Rechtsanwalt berichtet, dass er aktuell dabei sei, sich „einen Überblick über die Sanierungschancen des Betriebes“ zu verschaffen. Um die Bezahlung der 98 Mitarbeiter – darunter etwa 50 in Rieste – sicherzustellen, habe er eine Insolvenzgeldvorfinanzierung „aufgesetzt, die die Zahlungen November und Dezember 2024 sowie Januar 2025 sichert“.
Erste Gespräche mit möglichen Investoren habe man geführt „und einen strukturierten Verkaufsprozess aufgesetzt. Aktuell wird dazu ein Sanierungskonzept erarbeitet.“ Die Verfahrenseröffnung ist laut Kaltwasser für Februar 2025 geplant.
Totaler Nachfrageausfall am deutschen Fahrradmarkt trifft auch das „Bike-Center“ mit Sitz unter anderen in Garrel
Advanced ist der fast schon totale Nachfrageausfall am deutschen Fahrradmarkt zum Verhängnis geworden, von dem zuletzt auch der Fachhandel „Bike-Center“ mit Standorten in Garrel, Essen und Nortrup betroffen war. Bereits vor der Insolvenz hatten die Inhaber ihre Belegschaft reduziert. Von einst 20 Kollegen inklusive der beiden Geschäftsführer arbeiten an den Standorten mittlerweile nur noch zwölf. Die Sanierung des Betriebes wird angestrebt.
Schlachthöfe: Opfer eines schwachen und sich wandelnden Fleischmarktes mit einhergehenden Absatz- und Umsatzeinbrüchen sind auch die einst rund 750 Mitarbeiter des Vion-Schlachthofes in Westeremstek geworden. Am 30. April endete die Ära der holländischen Eigentümer des Schlachthofes, der zuletzt nur noch 25.000 statt der erlaubten 70.000 Schweine in der Woche geschlachtet hatte. Nach lange geheim gehaltenen Verkaufsgesprächen gingen Gebäude und Einrichtung am 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“, auf den Cloppenburger Kaufmann und Spediteur Kadri Bytyci über. Die Technik sicherte sich der Schlachthof Uhlen im emsländischen Lengerich.
Der ehemalige Vion-Schlachthof in Westeremstek: Die Gebäude werden zurzeit lediglich zum „Kisten waschen“ genutzt. Foto: Kühn
Bislang werde das riesige Vion-Gebäude weder als Lager noch als Kühllager genutzt, heißt es in einem kurzen Gespräch am Werkstor der KB Group am Montag (23. Dezember) seitens eines Vertreters der jetzt hier ansässigen Spedition KB & Söhne, für die Bytyci, wie auch für Kösters-Transporte in Cloppenburg-Emstekerfeld, als Geschäftsführer geführt ist. Derzeit würden hier „Kisten gewaschen“, womit wohl Transportkisten aus der Fleischindustrie gemeint sind. Mehr Informationen will sich der Vertreter allerdings nicht entlocken lassen.
Während Vion seinen Schlachthof geschlossen hat, wird der Schlachthof in Essen/Ol. von Eigentümer Danish Crown weiter betrieben. Das war kurz vor Weihnachten die erlösende Nachricht für rund 1400 Mitarbeiter. Hatte der Betrieb zuletzt einen Verlust von 25 Millionen Euro jährlich eingefahren, wollen die dänischen Eigentümer ihn jetzt fortführen. Der Schlachthof wird nun als strategisches Investment betrachtet, und soll insbesondere der Sicherstellung der Rohstofflieferungen an die eigenen Veredelungsbetriebe der Dänen in der Region dienen.
Von der Krise bei VW und der Meyer-Werft in Papenburg betroffene Mitarbeiter aus dem OM können zunächst aufatmen
Von schwierigen Märkten oder auch hausgemachten Krisen waren und sind die Meyer-Werft in Papenburg oder die VW-Standorte in Emden und Osnabrück betroffen. Werft sowie Produktionswerke beschäftigen auch Mitarbeiter, die ihren Wohnsitz im Oldenburger Münsterland haben. Noch vor Weihnachten war jedoch klar, dass es in Werft wie Werken weitergehen wird. In Osnabrück bleibt allerdings die Frage, ob das dortige VW-Werk geschlossen wird, aber erst noch in der Schwebe.
Im Bild eine von Ruhe installierte Bio-LNG-Verflüssigungsanlage in Darchau. Foto: Ruhe
Von politischen Entscheidungen und einem nicht kontrollierten Handel mit Emissionszertifikaten aus China betroffen ist die Biogasbranche in der Region. So meldete ein Branchenpionier, die Unternehmensgruppe Ruhe mit Sitz in Bakum-Lüsche, dass sie über alle Unternehmensbereiche hinweg, darunter der Biogasbereich, 50 ihrer über 200 Stellen streicht, um „die Kostensituation zu entspannen“. Allein am Lüscher Stammsitz wurden von rund 80 Stellen „25 bis 30“ abgebaut.
Die Zunahme von Unternehmensinsolvenzen sowie die Einleitung von Kostensenkungsprogrammen in allen Wirtschaftsbereichen führt die IHK Oldenburg auf eine schwache Ertragslage vieler Betriebe zurück. Gestiegene Energie- und Rohstoffkosten, eine zurückhaltende Nachfrage der Verbraucher infolge der Inflation und hohe Zinsen würden sich erheblich auf die Finanzkraft auswirken. Dennoch: Das Oldenburger Münsterland steht bislang mit Blick auf seine Wirtschaft relativ gut da. Die Branchenvielfalt und die nach wie vor starke Ernährungsbranche hilft, Schwierigkeiten in anderen, schwächelnden Branchen abzufedern. Auch das Handwerk – der wichtigste Branchenzweig im Landkreis Cloppenburg – meldete zuletzt wieder steigende Auftragseingänge.
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