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Legasthenie ist für sie kein Thema

Für Gerda Marie Knagge aus Schneiderkrug liegt die Lösung in der richtigen Lernmethode. Ihr Konzept wird zurzeit in Werlte angewendet.

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Automatisch richtig schreiben: Für Gerda Marie Knagge (links) sind nur drei Strategien erforderlich, um eine Lese- und Rechtschreibstörung zu überwinden. Foto: privat

Automatisch richtig schreiben: Für Gerda Marie Knagge (links) sind nur drei Strategien erforderlich, um eine Lese- und Rechtschreibstörung zu überwinden. Foto: privat

Wer Menschen kennt, die eine Lese-Rechtschreibstörung haben, merkt recht bald, wie komplex sich dieses Problem auswirkt. Vom mangelnden Selbstwertgefühl über Probleme in anderen Schulfächern bis zur sozialen Ausgrenzung ist alles dabei. Das Handicap macht sich bei der Wahl der Lehrstelle bemerkbar, bei der Karriere im Beruf sowie oft im gesamten Leben als Erwachsener. Gerda Marie Knagge aus Schneiderkrug konnte solche Geschichten und Lebensläufe noch nie ertragen. Sie war in ihrem Berufsleben Deutsch- und Englischlehrerin und – wie sie ausdrücklich betont – „immer gerne Lehrerin“.

Seit 130 Jahren wird ergebnislos geforscht

Ertragen kann sie allerdings auch nicht, dass in Deutschland seit 130 Jahren über die Ursachen der Legasthenie bzw. der Lese-Rechtschreibstörung (LRS) geforscht wird – bis heute ohne Ergebnis. Sie selbst befasst sich seit 1973 mit diesem Thema.

Damals nahm sie gerade ihren Dienst als Deutschlehrerin für Grund- und Hauptschulen auf. In Nordrhein-Westfalen, ihrer früheren Heimat, gab es eine tägliche schulische Förderung von Gruppen mit bis zu sechs Kindern. Voraussetzung für die Möglichkeit, speziell von LRS betroffene Schüler zu unterrichten, war eine einjährige berufsbegleitende Schulung, an der auch Gerda Marie Knagge teilnehmen durfte. „Seitdem hat mich die Thematik nicht mehr losgelassen“, blickt sie zurück.

Mit den Jahren kamen die Erfahrungen im Umgang mit LRS oder Legasthenie – und damit die ersten Zweifel am Umgang mit der Störung. „LRS wird aktuell als Neurodiversität bezeichnet. So wird zum Ausdruck gebracht, dass es eine Abweichung der kognitiven Fähigkeiten von der Norm gibt. Damit ist die Ursache für die LRS als im Kind angelegt zu verstehen. Diese Annahme ist zwar die am häufigsten vertretene, widerspricht aber der gegenteiligen Vermutung, dass die Rechtschreibschwäche doch wohl eher pädagogische Ursachen hat“, sagt Gerda Marie Knagge.

Ein Argument für ihre These sieht sie übrigens auch in der Tatsache, dass bei einem Menschen 95 Prozent aller Handlungen automatisch erfolgen. Man habe etwas gelernt und das Wissen oder die Fähigkeit abgespeichert. „Vom Aufdrehen der Zahnpastatube am Morgen über den Griff zur Zeitung bis hin zum Halten im Straßenverkehr vor der roten Ampel – all das haben wir gelernt und tun es immer wieder automatisch und somit spontan, richtig und schnell“, so die Erfahrung der pensionierten Lehrerin. Warum sollte das nicht auch in der Rechtschreibung möglich sein?

Automatisch richtig zu schreiben, ist laut Gerda Marie Knagge möglich

„Es ist definitiv möglich. Und mittlerweile ist für mich LRS nichts anderes, als ein Synonym für die mehr- oder weniger ausgeprägte Unfähigkeit, Texte beziehungsweise Wörter aus der Vorstellung richtig zu schreiben“, stellt die selbstbewusste Schneiderkrugerin fest und legt sich so auch gerne mit Forschung und Wissenschaft an. 24 Jahre nach ihrem Start in den Beruf hatte sie ein Konzept für Visuelles Automatisiertes Lernen (VAS) entwickelt, das inzwischen sogar zu einer wissenschaftlich überprüften Methode geworden ist.

Entscheidend für das Gelingen ist das Erlernen von drei Strategien, die schwache Rechtschreiber kennen müssen: Groß- und Kleinschreibung, Ableiten und Verlängern sowie Dehnung und Schärfung. Tatsächlich konnte 2023 in einer Validierungsstudie festgestellt werden, dass Schüler mit dem VAS-Konzept ihre Rechtschreibleistung um bis zu 98 Prozent verbessern konnten.

Für Gerda Marie Knagge ein echter Triumph: „Die Ursache der Legasthenie ist demnach die fehlende Automatisierung der Haupt-Rechtschreibregeln. Das führt nachweislich zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses – mit der Konsequenz, dass die Steuerung der Aufmerksamkeit, die Verarbeitung visueller und auditiver Reize und der Abruf von Automatismen nicht richtig funktionieren.“

500 Grundschulkinder in Werlte lernen nach Knagges Konzept

Bestätigt wird diese These übrigens gerade in Werlte in einer der größten Grundschulen Niedersachsens. Dort lernen seit 2023 rund 500 Kinder im Deutschunterricht nach dem VAS-Konzept. Die Quote der rechtschreibschwachen Viertklässler wurde 2021 noch mit 36,7 Prozent angegeben. Die galt es zu unterschreiten. Laut Gerda Marie Knagge wurde dieses Ziel längst erreicht: „Obwohl noch zwei von sechs Schulungsmaßnahmen ausstehen, konnte die Prozentzahl bereits drastisch reduziert werden. Sie liegt aktuell bei nur noch 15 Prozent.“

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