Die Pandemie, der Krieg mit all seinen Folgen und die dauernde Inflation – auf eine Krise scheint aktuell sofort die nächste zu folgen. Viele Menschen sind verunsichert und haben Zukunftsängste. Wie mag es dann den sozial Benachteiligten, den chronisch Kranken, den alleinerziehenden Frauen gehen, die als schwächste Glieder unserer Gesellschaft am meisten leiden? Wer nimmt sich ihrer Probleme und Zwangslagen an? Der Sozialdienst katholischer Frauen (SkF), wie wir in einem Gespräch mit der Vorstandsvorsitzenden Silja Meerpohl und Vorstandsmitglied Dr. Margret Nemann erfuhren.
Frage: Das Oldenburger Münsterland gehört zahlenmäßig zu den wirtschaftlich stärksten Regionen in Niedersachsen. Braucht es da überhaupt einen Verein, der sich um bedürftige Menschen kümmert?
Silja Meerpohl: Ich muss Ihnen sagen, dass ich das vor einigen Jahren auch gedacht habe, als ich hierherzog. Aber es gibt mittlerweile auch in unserer Region viele Menschen, die Hilfe und Unterstützung benötigen. Die andauernde Inflation und die extreme Verteuerung haben mit all ihrer Wucht zunächst die Menschen getroffen, die keine Reserven hatten – wirtschaftlich, physisch und psychisch.
Frage: Mit welchen Problemen kommen die Frauen denn überhaupt hilfesuchend zu Ihnen?
Margret Nemann: War es vor 10 Jahren noch oft eine schwierige finanzielle Lage, haben unsere Klientinnen heute häufig eine multiple Problemlage, mit der sie alleine nicht mehr klarkommen. Zu den wirtschaftlichen Nöten kommen Suchtprobleme verschiedenster Ausprägungen. Familiäre Probleme oder Gewalt verstärken diese Situation. Menschen in dieser scheinbar aussichtslosen Lage haben keine Resilienz, keine Ressourcen, egal welcher Art. Selbst ihren Alltag können sie dann nicht mehr ohne Hilfe bewältigen.
Frage: War das früher anders?
Margret Nemann: Ja, die Betroffenen hatten mehr Unterstützung und wurden von ihren Familien oder von ihrem Umfeld aufgefangen. Diese Netzwerke gibt es heute in der Form und Bedeutung nicht mehr. Die Menschen sind in einer Notlage, sind allein und landen dann bei uns, weil sie unser Hilfsangebot und unsere Solidarität brauchen.
Frage: Und wie sieht diese Hilfe konkret aus?
Silja Meerpohl: Erst einmal ist die christliche Haltung, den Mitmenschen jenseits kultureller oder religiöser Grenzen helfen zu wollen, Basis all unseres Tuns. Die Devise ist „Hilfe zur Selbsthilfe“: Wir möchten Anschubhilfe leisten, damit die Betroffenen ihr Leben wieder selbst in die Hand nehmen können. Wenn Gewalt im Spiel ist, gegenüber Frauen oder Kindern, müssen wir akut handeln mit unserem 24 Stunden erreichbaren Frauen- und Kinderschutzhaus. Wir beraten Schwangere und unsere Hebammen begleiten Frauen oder Familien mit kleinen Kindern. Wir werden auch in Fragen von Adoptionen aktiv. Unsere Familienpaten sind ehrenamtlich engagierte, lebenserfahrene Menschen, die Entlastung und Unterstützung bieten. Wenn sich Situationen zuspitzen, kümmern sich erfahrene und empathische Mitarbeiterinnen im Rahmen des Pflegekinderdienstes um die Schwächsten, damit die Kinder ihren Platz zunächst in einer Pflegefamilie finden. Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen oder Behinderungen bieten wir Beratung und Begleitung bei der Bewältigung von Lebenskrisen.
Frage: Diese Hilfe ist zum Teil akut und sie ist professionell – wie finanzieren sie sich überhaupt, um das anbieten zu können?
Silja Meerpohl: Es gibt immer noch viele Menschen, die an uns und unsere Arbeit glauben und uns mit Spenden versehen. Dafür sind wir unendlich dankbar. Als Frauenverband in der katholischen Kirche werden unsere caritativen Hilfsangebote insbesondere für Familien von der katholischen Kirche und der Caritas finanziell, ideell und thematisch wesentlich gefördert. Für andere Hilfsbereiche bekommen wir vom Landkreis oder von der öffentlichen Hand Unterstützung und Erstattung. Häufig müssen wir dabei in Vorleistung treten, dafür brauchen wir Rücklagen. Manchmal wünschen wir uns hier mehr Akzeptanz für unsere Belange und unsere Arbeit. Schließlich machen wir hier nicht ein bisschen ‚Charity‘, sondern leisten mit dem Dienst am Menschen einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Frage: Sie betreiben im Kreis Vechta fünf „Kleine Kaufhäuser“, in denen Sie Kleidung, Babyausstattung oder auch Spielzeug und Haushaltsartikel zum kleinen Preis anbieten. Spüren Sie auch dort, dass die Zeiten rauer werden?
Silja Meerpohl: Zunächst einmal möchten wir eine andere Art von Einkaufserlebnis bieten. Der Wunsch, sich etwas selbst leisten zu können, ist zutiefst menschlich. Daher richtet sich das Angebot unserer Kleinen Kaufhäuser an Menschen, die nicht jeden Bedarf aus eigenen Mittel decken können. Wir erkennen in unseren Kaufhäusern auch, dass es eine gesellschaftliche Veränderung gibt. Es kaufen heute Menschen bei uns, die das vor 3 Jahren noch nicht getan haben. Hier kommt neben wirtschaftlichen Problemlagen aber zunehmend auch der Nachhaltigkeitsgedanke zum Tragen. Ein weiteres Indiz für beide Aspekte ist der spürbare Rückgang von Warenspenden, auf die wir so dringend angewiesen sind.
Frage: Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, wie würde der aussehen?
Margret Nemann: Wir wünschen uns vor allem Vertrauen, insbesondere auch von den Verantwortlichen in Politik, Kirche und Gesellschaft. Vertrauen, dass wir fachlich gut und richtig arbeiten, dass wir mit den uns anvertrauten Ressourcen verantwortungsvoll umgehen, dass wir Menschen in Not mit Wertschätzung und Akzeptanz begegnen und dass wir für unsere MitarbeiterInnen die notwendigen Rahmenbedingungen für ihre professionelle Arbeit gewährleisten.
Silja Meerpohl: Dieses Vertrauen brauchen wir, weil hinter unseren Geschichten immer Menschen in Notsituationen stecken. Es ist unser Antrieb, diesen Menschen helfen zu wollen. Ausreichende Mittel sind dafür grundlegend und es bleibt unsere moralische Aufgabe, manchmal auch gesellschaftskritisch Grenzen zu überschreiten.