Wenn der Name Programm ist
Kolumne: Batke dichtet – Durch den Wintereinbruch der vergangenen Woche ist die Boulevardpresse zur Höchstform aufgelaufen. Doch seien wir ehrlich: Können wir noch Winter?
Alfons Batke | 12.02.2021
Kolumne: Batke dichtet – Durch den Wintereinbruch der vergangenen Woche ist die Boulevardpresse zur Höchstform aufgelaufen. Doch seien wir ehrlich: Können wir noch Winter?
Alfons Batke | 12.02.2021
Es hat ja viele schlechte Nachrichten in den letzten Monaten gegeben, die miese Laune lag wie Mehltau auf dem Land. Nun dies: Winter. Ja, das Klima kann noch Winter! Und wie. Ich will nicht die Vergangenheit heraufbeschwören oder sie gar verklären: Früher war mehr Winter! Ich kann mich an Zeiten erinnern, als nach Buß- und Bettag, also Mitte November, relativ häufig der erste Schnee fiel und lange blieb. Manchmal fror sogar der Lohner Mühlenteich zu. Oder der Dümmer. Zur Standard-Ausrüstung meiner Kindheit und Jugend gehörte der Davos-Schlitten, auf dem man wagemutig die zugegebenermaßen nicht sonderlich steilen Hänge dieser Region hinunterrauschte. Oder die jüngeren Geschwister ziehen musste. Wir nahmen den Winter, wie er kam, und auch wenn Erinnerungen verblassen, so war es die Zeit, in der wir Jungen für einen gewissen Zeitraum lange Unterhosen trugen. Unsexy vielleicht, aber hilfreich. Heutzutage ist der Winter, zumindest sein Ausbruch, ein Medienereignis erster Güte. Reporter werden wie Kriegsberichterstatter an die Wetterfront geschickt, sie jagen den Flockenwirbeln hinterher und berichten mit Todesverachtung – "embedded" im Auge des Orkans. Der hat natürlich einen Namen, und selten war das Institut für Meteorologie der Freien Universität Berlin, das die Bezeichnungen vergibt, so treffsicher: Das Tief, das die weiße Pracht mit dem Schneesturm und der Eiseskälte brachte, heißt "Tristan". Tristan klingt schon etwas furchteinflößender als etwa Theo, Timo oder Thaddäus. Der Name Tristan ist keltischer Herkunft, er leitet sich von "drest" ab, was sich mit "Tumult" übersetzen ließe, im übertragenen Sinne kann aber auch von einem "waffentragenden Mann" oder einem "Krieger" gesprochen werden. Kein angenehmer Geselle also, dieser Tristan, und so liefen sie in den gut geheizten Redaktionsstuben der Boulevardblätter auch gleich zur Höchstform auf. Erst war es der "Weiße Riese", der mit mächtigen Schritten auf uns zu kam; als der Wind auffrischte, wurde er zu "Fieser Riese mit der Eiskralle". Und als es richtig kalt wurde, holten die dichtenden Wetterfrösche der "Bild" die "Russenpeitsche" aus dem Stehsatz. Etwas weniger martialisch, fast schon poetisch, war zu Beginn der Woche in unserer Zeitung vom "Flockdown" die Rede. "Flockdown in Locktown" – daraus müsste sich doch ein veritabler Wintersong zimmern lassen. Um bei der Strahlkraft der Worte zu bleiben: Vor genau 55 Jahren, im Jahr 1966 also, warb die Deutsche Bundesbahn, wie sie damals noch hieß, mit dem Bild einer sich durch die Winterlandschaft fräsenden Lokomotive der Baureihe E 10 und dem Slogan: "Alle reden vom Wetter. Wir nicht." In begleitenden Fernseh-Werbeclips hieß es zusätzlich: "Wir fahren immer." Einer der größten Irrtümer in der deutschen Werbegeschichte, wie auch noch in diesen Tagen mit havarierten Reisenden und in den Depots geparkten Zügen zu sehen ist. Aus Väterchen Frost wird Väterchen Frust. Können wir noch Winter? Nicht wirklich.Der Name des Tiefdruckgebiets passte zum Wetter
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