Abseits der großen Labore entwickeln Tüftler Masken und Visiere aus dem 3D-Drucker. Das Ziel: den Mangel an Schutzausrüstung lindern. Jetzt unterstützt das Bundesforschungsministerium die Initiativen.
3D gegen das Virus: Mit solchen Druckern produzieren Technik-Freaks über Nacht Schutzausrüstungen nach eigenen Plänen. Die werden jetzt optimiert. Foto: Kreke
Das Visier aus dem 3D-Drucker sieht hoch professionell aus, drückt aber an der Stirn. „Das gibt rote Flecken“, berichtet Dr. Lisa Giller nach den ersten Testtagen. Kurzerhand rüstete die in Cloppenburg praktizierende Internistin den Protoyp mit „Bordmitteln“ nach: Ein Schaumstreifen, aus einem Küchenschwamm geschnitten, lindert den Druck.
Die Kritik am selbst gemachten Produkt hört sich Prof. Marco Beeken gelassen an, denn exakt solche Erfahrungen aus der Praxis soll das neue Projekt des Cloppenburger Wissenschaftlers sammeln. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dirk Berben von der Fernhochschule Südwestfalen vernetzt das Team des Chemiedidaktikers ab sofort Hunderte von Tüftlern, die aus der Not heraus eigenes Schutzmaterial im 3D-Drucker herstellen.
Corona-Problem: Die tüftelnden Erfinder arbeiten jetzt isoliert
Die sogenannte „Maker“-Szene füllt bundesweit seit Anfang März lokal und regional die Lücken in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Arztpraxen mit eigener Initiative. Weil Visiere und Masken weder gegen Geld noch gute Worte zu erhalten waren, warfen Studenten, Ingenieure und Technik-Freaks ihre 3D-Drucker nachts an und entwarfen zigfach Prototypen, auch im Landkreis Cloppenburg. Ihr Problem: Mit der Corona-Kontaktsperre fielen sämtliche Treffen aus, auf denen die Macher sonst ihre Erfahrungen austauschen, um gemeinsam an der besten technischen Lösung zu tüfteln.
In diese Lücke stößt das neue Projekt: Die beiden Uni-Teams wollen die Tüftler jetzt mit Rückmeldungen aus der Praxis versorgen, damit die ihre Produkte professionalisieren können.
Ärzte als Produkttester: Dr. Lisa Giller und Dr. Gregor Siemon probieren als erste Mediziner die von der Uni otimierten Visiere. Notfalls hilft sogar ein Küchenschwamm zum Nachbessern. Foto: Kreke
Beekens Mannschaft an der Universität Osnabrück plant digitale Treffen und Webinare, die als Plattform zur Produktverbesserung und zum Erfahrungsaustausch dienen sollen. Beeken, der gerade zwei Rufe der Universitäten in Konstanz und Aachen abgelehnt hat, um in Osnabrück weiterzuarbeiten, gilt inzwischen bundesweit als Experte in der Wissenschaftskommunikation.
Miteinander kommunizieren könnte noch einen Mangel der Szene ausgleichen: Weil die Tüftler nur geringe Mengen verarbeiten und bestellen, rangieren sie in den Material-Lieferkette abgeschlagen hinter den Großkunden, die mit Großaufträgen locken. Mit deren Produktionskapazitäten kann die Bewegung nicht konkurrieren, selbst wenn sie die bessere technische Lösung anbietet. Die Folge: Selbst bescheidene Bestellungen werden nicht bedient. Beeken und sein Kollege wollen deshalb Kontakte mit der herstellenden Industrie knüpfen, um die unabhängigen Ideengeber mit der Industrie an einen digitalen Tisch zu setzen.
Klarsichthülle von der Diplomarbeit dient nun als Visierscheibe
Die Rückmeldungen aus der Praxis laufen schon an. Polizisten in Nordrhein-Westfalen rücken bereits mit Visieren aus dem Prototyp-Labor aus. In Cloppenburg testen zum ersten Mal Ärzte und medizinisches Personal die Qualität der Entwürfe. Ein Kennzeichen: Der Mangel macht erfinderisch. Mit den Visierscheiben, die Beeken gestern in der Praxis von Dr. Lisa Giller und Dr. Gregor Siemon ablieferte, werden sonst Diplomarbeiten in Klarsicht gebunden. Weil Gummilitzen überall Mangelwaren sind, greifen die Macher jetzt auf Knopflochband zurück, das sonst in Kinder-Spielhosen für Halt sorgt. Der praktische Vorteil: Dank Knopflöcher lässt sich das Band fast stufenlos an den Kopfumfang anpassen.
Die Physiker der Universität Osnabück gingen im übersprudelnden Eifer noch einen Schritt weiter und montierten beidseits des Visiers zwei Ultraschall-Sensoren: Wer den Hygiene-Abstand zu Arzt oder Polizist unterschreitet, wird jetzt mit einem Warnton auf Distanz gehalten.Das Schall-Modul klackert wie ein Geigerzähler.
Die Hausärzte freuen sich aus ganz praktischen Gründen: Im Sommer ist das Visier luftiger als die Maske. Und: Ängstliche Patienten wie Kinder oder demente Menschen reagieren in der Regel entspannter, wenn sie das Gesicht des Mediziners sehen können.
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