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Thomas Wedig macht trotz Handicap sein Ding

Der Vechtaer versucht mit seinen sportlichen Auftritten anderen behinderten Menschen Mut zu machen. Der 59-Jährige sagt: "Es ist alles möglich, ihr müsst es nur wollen!"

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Ein Unentschieden für die Sportler, ein Sieg für die Inklusion: Thomas Wedig (links) hat bei einem Schaukampf in Essen gegen Mike Schmitz geboxt. Beide tragen eine Beinprothese. Foto: ArtOfSense.de / Christoph Stenzel

Ein Unentschieden für die Sportler, ein Sieg für die Inklusion: Thomas Wedig (links) hat bei einem Schaukampf in Essen gegen Mike Schmitz geboxt. Beide tragen eine Beinprothese. Foto: ArtOfSense.de / Christoph Stenzel

Thomas Wedig zeigt durch seine öffentlichen Auftritte immer wieder, was trotz einer Behinderung möglich ist. Nun ist der 59-jährige Vechtaer erstmals vor mehreren hundert Zuschauern in den Ring gestiegen. Der Schaukampf fand bei einer Open-Air-Boxveranstaltung am Flughafen Essen-Mühlheim statt. Im Interview spricht der beinamputierte Sportler über den Auftritt und seine Motivation. Dazu gibt er Ratschläge, wie Menschen mit ihrem Handicap besser umgehen können.

Herr Wedig, die wichtigste Frage nach einem Kampf: Wie geht's Ihnen?
Danke, ganz ok. Das rechte Ohr ist noch etwas angeschwollen, mehrere Schürfwunden am Arm und ein paar Rippenprellungen. Das tut nach einigen Tagen noch weh. Aber zum Glück keine Platzwunden, davor hatte ich Angst.

Wie ist das Gefühl, vor einem großen Publikum zu kämpfen?
Das war der Wahnsinn. Schon das Warten in der Sammelkabine war eine geile Erfahrung. Da herrschte das Schweigen im Walde, jeder hat sich seinen eigenen Tunnel gesucht. Dann kam das Einlaufen wie bei den Profiboxern. Ich hatte mir Udo Lindenberg mit "Ich mach mein Ding" ausgesucht. Der Song passt einfach zu mir.

Schaukampf vor mehreren hundert Zuschauern: Thomas Wedig (links) hatte gegen Mike Schmitz keinen leichten Stand. Er konnte die fehlende Körpermasse aber durch Beweglichkeit ausgleichen. Foto: ArtOfSense.de  Christoph StenzelSchaukampf vor mehreren hundert Zuschauern: Thomas Wedig (links) hatte gegen Mike Schmitz keinen leichten Stand. Er konnte die fehlende Körpermasse aber durch Beweglichkeit ausgleichen. Foto: ArtOfSense.de / Christoph Stenzel

Ihr Gegner war Mike Schmitz aus Essen, ebenfalls ein beinamputierter Mann. Wie sind Sie mit ihm zurechtgekommen?
Mike und ich kennen uns gut. Er boxt schon seit ein paar Jahren, ist ein echtes Schwergewicht. In der 1. Runde habe ich gleich einen schweren Schlag abbekommen, aber ich bin stehengeblieben und habe weitergekämpft. Schließlich habe ich ein halbes Jahr für das Event in Essen trainiert.

Der Kampf endete nach 3 Runden mit einem Unentschieden. Zufrieden?
Ja, auf jeden Fall. An diesem Tag hat die Inklusion gesiegt. Alle reden davon, wir haben sie ein Stück weiter nach vorne gebracht durch unseren Auftritt. Wir hatten als gehandicapte Menschen die Chance, uns unter die normalen Sportler zu mischen. Das war eine tolle Werbung für den Behindertensport.

Warum haben Sie sich auf den Kampf eingelassen?
Meine Motivation war, wieder einen neuen Kick zu bekommen. Nachdem ich letztes Jahr in der RTL-Show "Ninja Warrior Germany" aufgetreten bin, habe ich eine neue Herausforderung gesucht. Aber es geht bei der Sache nicht nur um meine Person.

Was meinen Sie damit?
Ich will mit meinen Auftritten andere Leute, die vielleicht auch ein Handicap haben, ermutigen. Sie sollen sehen, dass es möglich ist, mit einer Prothese zu boxen oder einen anderen Sport auszuüben.

Insofern dienen Sie als gutes Beispiel. Wie sind die Reaktionen?
Nach "Ninja Warrior" habe ich zahlreiche E-Mails bekommen von Menschen, die ebenfalls amputiert sind. Sie liegen zu Hause auf dem Sofa und haben nicht den Ansporn aufzustehen. Vielleicht haben sie inzwischen den Dreh gefunden. Aber selbst wenn ich nur einen Einzigen überzeugen konnte, habe ich mein Ziel erreicht.

Sie selbst haben vor 7 Jahren aufgrund eines erblich bedingten Aneurysmas den linken Fuß und einen Teil des Beines verloren. Wie sind Sie damit umgegangen?
Ich habe einen Tag nur geheult. Ich habe mich geärgert, dass mein Bein weg ist, ich vielleicht meine Partnerin oder Freunde verliere. Aber diese Gedanken habe ich ziemlich schnell weggepackt. Ich habe den Schalter umgelegt. Ich wollte wieder laufen können. Die Umsetzung war natürlich nicht einfach. Ich habe mir ein Sanitätshaus gesucht und eine passende Prothese bekommen. Das war ein Highlight für mich. Schon ein halbes Jahr später war ich wieder im Job.

Wie hat sich Ihr Leben seither entwickelt?
Ganz anders als vorher!

Das heißt?
Meine Lebenseinstellung hat sich schon während der Wochen im Krankenhaus verändert. Negative Dinge belasten mich nicht mehr so stark, da bin ich viel gelassener geworden. Ich schaue heute fokussierter nach vorne, bin optimistischer, versuche das Gute aus den Dingen herauszufiltern und positiv durch den Tag zu gehen.

Welche Einschränkungen haben Sie durch die Behinderung?
Ich habe an meinem Beruf festgehalten, arbeite in Vollzeit als Beschäftigungstherapeut bei der Diakonie in Wildeshausen. Mein Arbeitsplatz ist behindertengerecht eingerichtet, damit ich mich besser bewegen kann. Wenn ich nach Hause komme, lege ich meine Prothese ab und erhole mich. Nach der Pause geht es wieder los. Ich gehe schwimmen, laufen, boxen oder auch ganz extrem klettern.

Ist das nicht eine hohe Belastung?
Wenn ich den Sport nicht machen würde, würde ich körperliche Probleme bekommen. Gerade das Schwimmen ist gelenkschonend. Die Abwechslung tut mir sehr gut. Ich habe früher Marathon gelaufen. Ich brauche die Fitness, um mir etwas zu beweisen und auch offen für neue Herausforderungen zu sein.

Was sagen Sie anderen Behinderten, um sie für diesen Weg zu begeistern?
Es ist alles möglich, ihr müsst es nur wollen! Die Industrie stellt viele Hilfsmittel zur Verfügung. Es gibt heute Sachen, die in den 1980er Jahren noch nicht auf dem Markt waren, wie zum Beispiel leichte Prothesen und Lauffedern aus Carbon.

Das ist die körperliche Seite, aber wie steht es um den Kopf?
Ich habe meine Situation damals mit Unterstützung einer Psychologin aufgearbeitet. Das Schlimmste, was man machen kann, ist, die Probleme zu verdrängen. Es ist wichtig, das Schicksal anzunehmen. Natürlich ist es traurig, wenn man verunglückt, nicht mehr Motorrad fahren oder andere Hobbys ausüben kann. Dann muss man nach Alternativen suchen, was man noch machen kann.

Was empfehlen Sie betroffenen Menschen?
Ganz wichtig ist es, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Man muss zu Menschen gehen, die sich mit dem Thema auskennen. Ohne fachliche Unterstützung wäre ich auch nicht so schnell weitergekommen. Heute versuche ich selbst anderen zu helfen, indem ich an Veranstaltungen teilnehme oder auch Coachings in Unternehmen, Vereinen und sonstigen Institutionen durchführe.

Was sagen Sie den Zuhörern in den Vorträgen?
Ich spreche über meine Erfahrungen, versuche den Menschen damit Mut für die Herausforderungen im Leben zu machen. Aber es geht auch um Dankbarkeit und Demut. Das wird in der schnelllebigen Zeit kaum noch groß geschrieben. Wir klagen auf zu hohem Niveau. Vieles ist selbstverständlich geworden. Dabei haben wir gerade im Lockdown gemerkt, dass es auch anders geht.

Welche Ziele haben Sie sich für die nächste Zeit gesteckt?
Ich will weiter an meiner Fitness arbeiten. Mein Kumpel und Trainer Sven Diekmann hilft mir dabei. Zurzeit verbringe ich so viel Zeit wie möglich in offenen Gewässern. Oft bin ich schon am frühen Morgen am Hartensbergsee in Goldenstedt. Im Vergleich zu Freibädern ist das Schwimmen hier eine besondere Herausforderung. Mein Ziel ist es, das Zwischenahner Meer zu durchkreuzen. Das sind knapp 5 Kilometer.

Der Gang in den Boxring hat sich für Thomas Wedig gelohnt. Er sucht nun schon die nächste Herausforderung. Foto: ArtOfSense.de  Christoph StenzelDer Gang in den Boxring hat sich für Thomas Wedig gelohnt. Er sucht nun schon die nächste Herausforderung. Foto: ArtOfSense.de / Christoph Stenzel

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