Suchtpatientin aus Visbek sagt: „Ich war nur noch in einer Hülle“
Weihbischof Theising hat mit Caritas-Vertretern Einrichtungen der oldenburgischen Suchtkrankenhilfe besucht. Hier trifft er auf bewegende Schicksale.
Redaktion | 06.08.2025
Weihbischof Theising hat mit Caritas-Vertretern Einrichtungen der oldenburgischen Suchtkrankenhilfe besucht. Hier trifft er auf bewegende Schicksale.
Redaktion | 06.08.2025
Im Gespräch: Weihbischof Theising (links) mit Bernd Sander im Kreativbereich des St. Leo-Stiftes in Essen. Foto: Kattinger
In der Jugendhilfe hat er gearbeitet. Als Hausmeister und Hauswirtschafter. Da sollten ihn, nennen wir ihn Manfred, die Schicksale der Jugendlichen nicht unmittelbar berühren. Haben Sie aber doch. Der heute 63-Jährige fängt an zu trinken. Und das immer mehr. Nach einer schlechten Diagnose beim Arzt zwei Flaschen Jägermeister und ein paar Bier. Innerhalb von 20 Minuten. Manfred ist einer von 65 Bewohnern des St. Leo-Stiftes Essen/Oldenburg. In Begleitung von Caritasvorstand Professor Martin Pohlmann und Fachreferentin Madlen Seelhoff hat Weihbischof Wilfried Theising jetzt die Einrichtung besucht. Das teilt der Landes-Caritasverband in einer Mitteilung mit. 9500 Euro hat Manfred pro Jahr fürs Trinken bezahlt, hat er mal überschlagen. Das alles vor seiner Zeit in Essen. Denn wer ins Leo-Stift will, muss trocken sein. Mit großem Respekt berichtet Einrichtungsleiter Dirk Rohde über ihn und die anderen suchtkranken Menschen in der südoldenburgischen Kleinstadt mit ihren 10.000 Einwohnern. In 14 Wohngruppen leben die Klienten dort – verteilt auf acht Standorte. Seit 5 Jahren gebe es dieses Prinzip. Jede Woche eine Bewohnerkonferenz in jeder WG. „Wie Studenten“, schildert Rohde schmunzelnd, „nur ohne Studium“. Und er ist stolz darauf, wie die Kranken ganz selbstverständlich in die südoldenburgische Gemeinde integriert sind. Gewalt gebe es keine. 90 Prozent der Kranken hätten eine gesetzliche Betreuung. Alle seien sie Langzeitalkoholiker. Will sagen: Über 20 Jahre lang haben sie täglich zwei Flaschen Schnaps getrunken, schildert der Pädagoge ohne jede Wertung. Für viele hätte das zur Wesensveränderung geführt. Nicht wenige hätten versucht, sich das Leben zu nehmen. Im Durchschnitt sind sie 56 Jahre alt. Von der Nordsee kommen sie oder aus Nordrhein-Westfalen. Von der niederländischen Grenze oder Hannover. Freiwillig sind alle da, die sich auf das „Abenteuer Leo-Stift“ einlassen, so Rohde. Keiner hätte eine richterliche Einweisung. Schlechte Zähne fänden sich in fast allen Mündern. Kein Wunder: Die Ernährung hätte aus zwei Frikadellen vom Discounter und viel Schnaps bestanden. In der Regel leben sie zwischen einem und 3 Jahren im Leo-Stift. Einige wenige 10 Jahre und länger. Für viele geht es im Anschluss in ein psychiatrisches Altenheim. „Die Struktur danach gibt es nicht“, bedauert Pfarrer Michael Borth als Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung. „Kein Wohnraum, keine Arbeit“ für die Menschen, die auf Grund von Arbeitsverlust, Scheidung oder Klinikaufenthalten in ihre jetzige Lage kamen. Für Manfred ist das Leo-Stift keine Endstation, sondern ein Sprungbrett in ein anderes Leben. Nach 12 Monaten in der Einrichtung zieht er am Tag nach dem Besuch des Weihbischofs in eine eigene Wohnung. Bewegende Schicksale, die gibt es auch in Visbek: Alkohol, Kokain, Cannabis und Amphetamin habe sie konsumiert. Sie, die Patientin aus der Suchtfachklinik für Frauen in Visbek. „Ich war nur noch in einer Hülle, einem Versteck“, beschreibt sich die Akademikerin und mehrfache Mutter. „Neu entstanden“ sei sie nach ihrem Aufenthalt in Visbek, wo sie einen von 105 Plätzen belegte. Nur noch ein bis zwei Prozent der Patientinnen litten unter einer Suchterkrankung, wie man sie von früher kenne, schildert die ärztlich-therapeutische Leiterin Sabine Lottermoser. Bei zwei Dritteln käme Weiteres hinzu. Häufig mit Traumata als Ursache. Sexueller Missbrauch und Gewalt beispielsweise. Vielfach übersehen würden jedoch tiefe seelische Wunden durch Vernachlässigung. Da seien beispielsweise die Kinder hochgebildeter Eltern, die ihre Mutter oder ihren Vater in der Kindheit auf keinen Fall hätten stören dürften. Oder jenes Mädchen aus der Mittelschicht, welches eine Woche in den Keller gesperrt wurde – im Grunde ohne Essen und Trinken. Frauen, die zum Geburtstag in Visbek ein Geschenk von Mit-Patientinnen bekamen, das für sie „das erste Geschenk der letzten 40 Jahre war“. Deren Klinik-Dank lautet: „Noch nie hatte jemand Interesse nur an mir.“ 20-jährige Frauen mit Abitur und Studium. Viele aus der Mittelschicht. Welche, die während der Corona-Zeit angefangen haben, zu trinken. Die vor Videokonferenzen Wodka in ihren Kaffee gekippt hätten. Nicht als Opfer werden sie alle in der Klinik mit ihren 70 Mitarbeitenden gesehen, sondern als Überlebende, betont auch Geschäftsführer Michael Stangenberg. Sie, die aus Cuxhaven kommen und Osnabrück, aus Bayern und Baden-Württemberg. Für die Weihbischof Theising in der Kapelle betet. Ebenso wie für alle Mitarbeitenden in diesem Bereich.Patienten kommen auch aus Bayern oder Baden-Württemberg
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