„Soziale Distanz wird Leben retten“
Die Dammerin Inga Beckmann lebt in Hongkong und blickt mit Sorge auf die Sorglosigkeit in ihrer Heimat.
Inga Beckmann | 21.03.2020
Die Dammerin Inga Beckmann lebt in Hongkong und blickt mit Sorge auf die Sorglosigkeit in ihrer Heimat.
Inga Beckmann | 21.03.2020
Alltag in Hongkong: Passanten mit Mundschutz gehen zur Rushhour durch eine U-Bahn-Station. Foto: Kin Cheung/dpa
Wir leben in Hongkong seit Mitte Januar in Zeiten von Covid19 und haben die erste Welle des Panikkaufs erlebt: Mundschutz, Desinfektionsmittel, Toilettenpapier und Medikamente! Auch Reis und Cup-Noodles verschwanden aus unseren Supermarktregalen. Unsere Schulen sind seit über acht Wochen geschlossen und „Fernunterricht“ ist zur neuen Normalität geworden. Es wird immer unwahrscheinlicher, dass unsere Schulen, Kitas und Kindergärten dieses Halbjahr überhaupt wieder geöffnet werden. Für berufstätige Eltern ist das eine Katastrophe, selbst im Homeoffice, oder gerade dann. Ich bin seit Januar als Fotografin so gut wie auftragslos, da Budgets für die ersten beiden Quartale sofort gestrichen und all meine Projekte innerhalb von einer Woche gecancelt wurden. Anfang Februar fühlte es sich wirklich wie das Ende der Tage an. Die Straßen waren verlassen, jede öffentliche Veranstaltung oder Versammlung wurde abgesagt. Viele verließen unsere Stadt für immer. Gezeichnet von neun Monaten Protesten, die auch noch immer nicht abgeklungen sind, ist unser Tourismus zum Erliegen gekommen und die Gastronomie gekillt, Restaurants und kleine Unternehmen schließen täglich. Es waren dunkle, beängstigende Tage für uns alle, die in Hongkong leben, einer der am dichtesten besiedelten Städte der Welt. Als sich jedoch Hongkongs vernünftige Eindämmungsbemühungen durchsetzten, begannen sich die Zahlen zu stabilisieren. Wir haben eine angemessene soziale Distanzierung eingehalten und werden sie auch weiterhin einhalten. Wir tragen gegebenenfalls einen Mundschutz und waschen uns viel die Hände. Sehr viel. Also sehr, sehr viel! Ich habe nicht mehr das verzweifelte Bedürfnis, den täglichen Bericht „Covid-19 Local Situation“ zu überprüfen, der vom Hongkonger Zentrum für Gesundheitsschutz veröffentlicht wurde. Vor einigen Tagen, als ich nachgesehen habe, lag die Zahl der Neuinfizierten bei nur 130. Selbst die am stärksten betroffenen Gebiete in Asien (China und Korea) verzeichnen einen täglichen Rückgang der Infektionsraten. Nun kommen fast alle neuen Infektionen in Hongkong aus Europa, dem neuen Epizentrum des Covid-19, worauf Hongkongs Regierung sofort mit einer ausgedehnten Quarantänebestimmung auf fast alle europäischen Länder reagiert hat. „Jeder sollte darüber nachdenken, welchen Einfluss das eigene Verhalten auf das Umfeld haben kann“ Sars hatte schon einmal die Stadt Hongkong traumatisiert. Die Menschen haben ihre Lektionen nicht vergessen. Hongkong reagierte schon, als im Epizentrum Wuhan die Anzahl an Infektionen halb so groß war wie derzeit in Deutschland. Damals hatte Hongkong kaum eigene Infektionen und vor allem keinen Todesfall. Ich muss zugeben, ich bin froh, dass ich in einer Stadt lebe, in der die Menschen diskriminiert und blöd angeguckt werden, die KEINEN Mundschutz tragen. Es gibt ein Gefühl von Solidarität und Respekt und das gemeinsame Verständnis, dass alle am gleichen Strang ziehen – völlig unabhängig davon, ob Maßnahmen wie Mundschutz sinnvoll sind oder nicht. Es ist nicht die richtige Situation und Zeit, arrogant zu sein: Jeder sollte darüber nachdenken, welchen Einfluss das eigene Verhalten auf das Umfeld haben kann. Du machst dir vielleicht Sorgen: Werde ich dumm dastehen? Was, wenn ich überreagiere? Werden Freunde über mich lachen? Ich warte besser, dass andere erste Schritte unternehmen. Schau nicht nur auf das, was zur Zeit in Deutschland passiert, sondern lies Nachrichten über andere Länder wie Italien und Spanien oder den Iran, in denen das Virus schon weiter fortgeschritten ist. Denn so wird es sehr wahrscheinlich in deiner nahen Zukunft aussehen, wenn du und deine Mitbürger nicht sofort reagieren. Ihr habt die Chance, mit jedem Tag aus Fehlern zu lernen, die betroffene Länder gemacht haben. Also, schränke deine sozialen Kontakte ein, wasche deine Hände, geh viel an die frische Luft und STAY SAFE! Und vor allem: Nimm die Situation ernst, heute und nicht erst morgen. Soziale Distanz, die du einhältst, wird Leben retten. Wir in Hongkong sind weit entfernt von einer Rückkehr zur „Normalität“, aber zum ersten Mal seit langer Zeit scheint es hier in Hongkong ein echtes Gefühl der Hoffnung zu geben. Es ist nicht „nur eine Grippe“, Covid-19 ist sehr ernst, und wir müssen weiterhin alle Anstrengungen unternehmen, um das Virus einzudämmen. Leider wird die Zahl der Infektionen in den Vereinigten Staaten und in Europa weiter zunehmen, wahrscheinlich erheblich, aber die Zahl wird ihren Höhepunkt erreichen und dann wird alles wieder gut. Irgendwann.
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