Welche Strafe bekommt der Betrüger? Wer erhält das Sorgerecht für die Kinder? Was passiert mit Opas Erbe? Wer muss Insolvenz anmelden? Und wer übernimmt die Betreuung der demenzkranken Großmutter? Die Arbeit bei Gericht ist vielfältig und besteht nicht nur aus Strafprozessen. Das Amtsgericht Vechta (insgesamt 80 Mitarbeiter) hat jetzt seine Bilanz für das Jahr 2023 vorgestellt.
Strafrecht: Leicht gestiegen sind die Fälle im Bereich Strafrecht. "Die Strafrichter haben 842 Strafbefehlsverfahren und 333 Einzelrichterstrafsachen bearbeitet", sagt der stellvertretende Direktor des Amtsgerichts, Tobias Vogt. Was sind das für Fälle? "Das Amtsgericht entscheidet in Strafsachen der leichten bis mittelschweren Kriminalität sowie in Bußgeldverfahren nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz", heißt es im schönsten Behördendeutsch. In Vechta bedeutet das für die zwölf Richter häufig: Sie befassen sich mit Delikten wie Fahren ohne Führerschein, Fahren unter Alkoholeinfluss, Ladendiebstählen oder Körperverletzungen.
Zalando-Betrüger beschäftigen das Gericht mehrfach
Es seien aber auch außergewöhnliche Fälle dabei gewesen im vergangenen Jahr, sagt Gerichtsdirektor Dr. Ralph Seifert. "Wir hatten es im Nachgang der Pandemie mit einigen Betrugsfällen im Bereich der staatlichen Corona-Hilfen zu tun, dazu kamen etliche Fälle von Rücksendebetrügereien bei Zalando", berichtet er. In diesen Fällen seien manipulierte Rücksendeetiketten benutzt worden. Unter dem Strich hätten die Betrüger bei Zalando bestellt, die Ware behalten, aber parallel dazu mithilfe einer fingierten Rücksendung dafür gesorgt, dass sie auch ihr Geld zurückbekamen - obwohl sie die Ware gar nicht zurückgesendet hatten. Manche Bestellungen summierten sich dabei auf mehrere 1000 Euro. "Die gefakten Rücksende-Etiketten konnte man als 'Service' im Internet bestellen", erinnert sich Seifert.
Die Jugendrichter befassten sich 2023 mit 402 (Vorjahr: 300) Verfahren, das Jugendschöffengericht mit 78 (Vorjahr: 23). "Man kann aber von der Anzahl der Verfahren nicht auf besondere Tendenzen in der Kriminalitätsentwicklung schließen, insbesondere nicht auf eine höhere Jugendkriminalität", ordnet Tobias Vogt ein.
Zivilsachen: Unter diesem Stichwort sind zum Beispiel Nachbarschaftsstreitigkeiten, Streit zwischen Mietern und Vermietern (bei Wohnimmobilien), Auseinandersetzungen von Kunden und Handwerkern oder der klassische "Parkplatzrempler" zusammengefasst. 749 Mal war hier im vergangenen Jahr das Amtsgericht gefragt – deutlich seltener als noch vor 15 Jahren.
Wenn Streitwert über 5000 Euro liegt, ist das Landgericht zuständig
Das liegt aber nicht daran, dass weniger gestritten wird. Vielmehr ist das Amtsgericht nur dann zuständig, wenn der Streitwert unter 5000 Euro liegt (außer bei Wohnraumstreitigkeiten). Diese Summe ist seit 1993 unverändert – allerdings sind die Verbraucherpreise seither um 45 Prozent gestiegen. Die Folge: Immer öfter liegt der Streitwert über 5000 Euro. Dann ist das Landgericht zuständig. "Aktuell liegt aber ein Gesetzentwurf vor, der die Streitwert-Grenze für Verfahren, für die das Amtsgericht zuständig ist, auf 8000 Euro heraufsetzen soll", sagt Amtsgerichtsdirektor Dr. Ralph Seifert. Dann sei zu erwarten, dass die Amtsgerichte wieder mehr Fälle verhandeln werden.
Familiensachen: Die Familienabteilung des Amtsgerichts entscheidet zum Beispiel bei Scheidungen über Unterhalt, Sorge- oder Umgangsrecht für gemeinsame Kinder oder den Zugewinnausgleich, außerdem über Adoptionsverfahren, die Feststellung oder Anfechtung einer Vaterschaft oder die Unterbringung Minderjähriger. 955 Verfahren gab es am Amtsgericht Vechta 2023, darunter 244 Scheidungsanträge (Vorjahr: 214), 63 Unterhaltsstreitigkeiten (Vorjahr: 71) und 166 Verfahren aus den Bereichen Umgang und Sorgerecht (Vorjahr: 349). Hier sei der deutliche Rückgang vermutlich darauf zurückzuführen, dass deutlich weniger unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in die Region kamen.
Zahl der Betreuungsverfahren auf neuem Höchststand
Betreuungssachen: Mit 1820 Betreuungsverfahren (wenn eine Person zum Beispiel aufgrund von Krankheit oder Behinderung einen gesetzlichen Betreuer benötigt, der ihre Angelegenheiten regelt) hatte das Amtsgericht 2023 so viele wie nie zuvor zu bearbeiten. "Das ist darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung insgesamt altert und der Anteil von Menschen mit Unterstützungsbedarf größer wird", sagt Tobias Vogt. Im Vergleich zu anderen Gerichtsbezirken stünden im Landkreis Vechta allerdings sehr häufig Familienangehörige als Betreuer zur Verfügung. "Außerdem sind viele Menschen ehrenamtlich bereit, eine Betreuung zu übernehmen", berichtet Vogt. "Wir sehen durchaus, wie gut es in vielen Familien noch funktioniert. Es sind oft Menschen da, die zupacken und sich kümmern."
Zwangsvollstreckung, Zwangsversteigerung und Insolvenzen: Die Anzahl der Zwangsversteigerungen ist seit 2019 sehr gering. Im vergangenen Jahr gab es nur 24 Verfahren. "Darin spiegelt sich die gute wirtschaftliche Situation der Region wider", bilanziert Dr. Ralph Seifert. "Darüber hinaus wurden Notverkäufe aufgrund der in den letzten Jahren steigenden Immobilienpreise wohl häufig auch über den freien Markt geregelt."
Gerichtsvollzieher ziehen rund 2,3 Millionen Euro ein
Auch die Zahl der Insolvenzanträge (80) und Insolvenzverfahren (35) sei eher gering. Die Anzahl der Verbraucherinsolvenzanträge lag mit 214 auf dem Niveau der Vorjahre. Die sechs Gerichtsvollzieher zogen zudem bei Vollstreckungsaufträgen insgesamt 2.319.000 Euro ein. Dabei gab es einen Fall, bei dem gleich 350.000 Euro "eingetrieben" wurden.
Grundbuchsachen: Hier verzeichnet das Gericht einen deutlichen Rückgang. "Es gibt deutlich weniger Neubaugebiete, weniger neue Photovoltaik, weniger Windkraftanlagen – das macht sich in diesem Bereich des Gerichts bemerkbar", sagt Tobias Vogt.
Nachlass: Im Bereich Testamente gab es mehr Arbeit, die Bearbeitungszahl stieg von 765 auf 913.
Auf dem Weg zum digitalen Gericht: Noch beherrschen in vielen Bereichen Aktenberge die Arbeit des Amtsgerichts. Das soll sich aber ändern. "Ab 2026 müssen wir voll digital arbeiten. In der zweiten Jahreshälfte 2024 werden wir digitale Akten für Zivil- und Nachlasssachen einführen", berichtet Amtsgerichtsdirektor Dr. Ralph Seifert. Das ist auch gut so, denn die zahlreichen Papierakten sorgen inzwischen für Platzprobleme im Gerichtsgebäude. Kein Wunder: "Testamente müssen zum Beispiel 130 Jahre lang aufbewahrt werden", sagt der Geschäftsleiter des Gerichts, Martin Rolfes.